ESSAY-BRIEF

Essay-Brief Dezember 2020

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Einkehr bei sich selbst

© Bernd Helge Fritsch

 

Meditation

Für den Mystiker Angelus Silesius (1624 - 1677, eigentlich Johannes Scheff-ler, deutscher Arzt, Priester und Dichter) war die Geburt Christi ein Symbol für die „Einkehr bei sich selbst“. Und er bringt dies mit folgenden wunderba-ren Worten zum Ausdruck:

Wär Christus tausendmal in Bethlehem geboren,

und nicht in dir: Du bliebest doch in alle Ewigkeit verloren.

 

Einkehr bei sich selbst ist mit das Schönste und Beglückenste was wir in un-serem Leben erfahren dürfen. Diese Begegnung mit unserem innersten Selbst geschieht, wenn wir unsere Aufmerksamkeit bewusst von den äußeren Erscheinungen abziehen, das Denken einstellen und in die Stille gehen. In dieser Stille öffnet sich das Tor zur Dimension jenseits der Formenwelt. Dieser wunderbare Vorgang wird vielfach auch als „Meditation“ (von lateinisch „meditatio – die Mitte finden“) bezeichnet.

Meditation führt zur Erfahrung des Höchsten in uns. Doch für manche Men-schen ist der Versuch in die Stille zu gehen, eher mit Frust verbunden, als mit einem beglückenden Gefühl der Befreiung. Denn es gelingt ihnen nicht, das ersehnte Ziel der Meditation – gedankenleer zu werden und mehr Licht in ihr Bewusstsein zu bringen – zu verwirklichen.

Spirituelle Praktiken

Es gibt dazu unzählige Praktiken und Techniken, die zum Beispiel unter Na-men wie transzendentale-, Mantra- oder Chakra- Meditation empfohlen und verkauft werden. Sie sollen uns helfen erfolgreich in sich zu gehen und die eigene wahre Wesenheit zu schauen. Doch all diese Praktiken, die vielleicht für mehr Achtsamkeit und Bewusstheit nützlich sein können, brauchen wir nicht um zu erwachen. Sie behindern uns eher, als dass sie nützlich sind.

Der Glaube an die eigene Unzulänglichkeit

Spirituelle Praktiken gehen in der Regel davon aus, dass mit uns etwas nicht in Ordnung ist. Daher sei es notwendig fleißig an uns selbst zu arbeiten und sich anzustrengen um irgendwann in der Zukunft ein besserer oder gar ein „erleuchteter“ Mensch zu werden.

Tatsächlich bist du bereits vollkommen, dein Problem ist nur: Du weißt es nicht! „Das Himmelreich“ ist bereits in dir (Luk.17,21). Es ist der seit vielen Jahrhunderten tief in den Menschen verwurzelte Glaube an seine Schwä-chen, seine Unzulänglichkeit und der Glaube erst nach harter Arbeit irgend-wann in der Zukunft – die es gar nicht gibt – befreit zu werden, der den Men-schen daran hindert, „Hier und Jetzt“ die eigene Vollkommenheit und die ei-gene Einheit mit dem höchsten Sein wahrzunehmen.

Totale Präsenz

Meditation ist das Natürlichste und Einfachste auf der Welt. Meditation hat kein Ziel, keine Ausrichtung. Da ist nichts was gewonnen wird.

Wir benötigen für Meditation keinen Lehrer, keinen Guru, keine Technik. Er-forderlich ist allein unser Eingehen in „Die Stille des Herzens“, wie sie Robert Adams nennt. Diese Stille tritt ein, wenn wir total gegenwärtig sind und nicht an Vergangenes oder an unsere Wünsche und Sorgen denken.

Stille bedeutet Präsenz und Präsenz ermöglicht Stille. Sie bedingen sich ge-genseitig. In der Stille erlischt das Ego-Ich und wir werden frei. Unser Ego lebt von Wünschen, Ängsten und Sorgen. Es ist fortlaufend beschäftigt mit dem, was war und dem, was sein wird. Es vermag nicht still zu sein und so im seligen „Jetzt“ zu verweilen. Doch die wichtigste und einzig reale Erfahrung in unserem Leben ist das Wunder des gegenwärtigen Augenblicks. Diese Erfahrung bedeutet Befreiung und Erwachen.

Du kannst die Fülle und Vollkommenheit des Lebens nur in diesem „Jetzt“ erfahren. Überflüssiges Denken an das, was war und das, was kommen wird, führt uns weg vom Zauber des gegenwärtigen Seins. Im Vergangenheits- und Zukunfts-Denken vergeuden und versäumen wir unser Leben.

Nur in der totalen Präsenz kannst du die Begegnung mit dir selbst verwirkli-chen. Nur im „Nicht-Denken“ und „Nichts-Sein“. erfahren wir unsere wahres Sein.

Wollen und Suchen

Das größte Hindernis zur Befreiung ist unser Ego-Wollen und die damit ver-bundene Ausrichtung auf die Zukunft, statt „Hier und Jetzt“ zufrieden und glücklich in das allumfassende universelle Sein einzutreten.

Dabei ist alles Bemühen und Suchen überflüssig, denn du bist bereits dieses Sein! Und weil du es bereits bist und immer warst und immer sein wirst, kannst du und brauchst du nichts „bewirken“. Sondern nur ein „Nichts-Tun“, ein „Nichts-Wollen“, ein „totales Loslassen“ ist erforderlich.

Suchen beinhaltet die Überzeugung vom Gesuchten getrennt zu sein. Suchen bedeutet „Zeit“, bedeutet, ein Verschieben auf „Morgen“. Doch gerade die Hoffnung auf Morgen, die Meinung, dass es mir besser geht, wenn ich diese und jene Aufgaben erledigt habe, verhindert unsere Befreiung und Erleuch-tung, die nur in diesem einen Augenblick stattfinden kann. Denn real ist nur dieses „Jetzt“. Die Vergangenheit und die Zukunft existieren nur in unserem Kopf. Sie sind Produkte unseres Denkens.

Die Dimension der Liebe und Glückseligkeit

Das höchste Sein, in dem wir mit allen Menschen, Lebewesen und Dingen Eins sind, kann andeutungsweise mit Worten wie „allumfassende Liebe“, „ur-sachenlose Glücksseligkeit“ und „innerer Frieden“ beschrieben werden. Diese Dimension können wir nur im „Nicht-Denken“, im Zustand der Stille erfah-ren.

Denn beim Denken trennen wir das Eine vom Anderen und die Welt zerfällt in die Vielfalt der Erscheinungen. Erst im „Nicht-Denken, im Still-Sein wird die-se Trennung wieder aufgehoben und wir tauchen ein in das wahre Sein.

Weshalb fällt uns Stille so schwer?

Weshalb fällt es uns so schwer in der Stille zu verweilen?

Um anhaltende, tiefe Stille zu erreichen ist die Auflösung unseres Egos erfor-derlich. Denn es ist unser Ego, welches dem „Nicht-Denken“ heftigen Wider-stand leistet. Versuchst du still zu sein beginnen die Gedanken erst recht wie wild in deinem Gehirn herum zu hüpfen. Warum? Weil unser Ego sehr wohl weiß, dass Stille seinen Tod herbeiführt.

Unruhe des Geistes

Schon Bodhidharma (* um 440; † um 528, erster Patriarch des Chan-Buddhismus) lehrte:

„Die Menschen kennen nur die äußere Schale der irdischen Phänomene und sind daher diesen ausgeliefert… Erst wenn man weiß, wie den äu-ßeren Formen zu begegnen ist, wird der Geist von den Formen nicht mehr bewegt… solange wir jedoch den Geist benützen um Gedanken zu pro-duzieren, ist der Geist fortwährend unruhig und alles bewegt sich“…

 

Es ist die intensive gedankliche Bindung an Erscheinungen der Welt, die uns daran hindert in der Stille zu verweilen. Denn die meisten Menschen glauben nur an die Realität der äußeren Erscheinungen. Der transzendente Ursprung aller irdischen Phänomene ist ihnen nicht bewusst. Daher leben sie in der irrigen Erwartung, dass sie ihr Glück durch Erreichung äußerer Ziele erlan-gen können. Doch diese Hoffnung geht letztlich nicht in Erfüllung und mün-det nur in Enttäuschung und Leid.

Wie schon gesagt: Das „Himmelreich“ ist in dir und kann nur dort gefunden werden. Bist du dort mit ihm verbunden, wirst du auch in der diesseitigen Welt – was immer sie dir bringen mag – glücklich und zufrieden sein.

Identifikation

Du bist nicht, was du glaubst zu sein. Was du denkst zu sein, ist dein Ego-Ich. Dieses ich ist durch deine Denktätigkeit, oder anders gesagt, dadurch entstanden, dass du dich mit vielerlei Dingen identifizierst.

Womit identifiziert sich der normale Mensch und erschafft daraus dieses künstliche Ego-Ich-Gebilde? Er vermeint primär sein Körper zu sein, dann seine Gedanken und Gefühle. Er identifiziert sich mit Erlebnissen in der Ver-gangenheit, soweit er sich daran erinnert und wie er sie ehedem und heute interpretiert. Das zeigt schon wie sich dieses Ego vorwiegend aus subjektiven und äußerst vergänglichen Wahrnehmungen, Erinnerungen und Bewertun-gen zusammensetzt.

Der Mensch identifiziert sich mit seinem Charakter, seinen Wünschen und Abneigungen, seinen Fähigkeiten, seinen Schwächen. Er identifiziert sich mit seinem Beruf, seiner Familie, seiner Nation und seinen Besitztümern und vielen anderen Dingen. In seinem Glauben ist er eine kunterbunte Ansammlung von Gedanken, woraus sich dieses Pseudo-Ich zusammensetzt.

Identifikation bindet uns an die vergänglichen Formen der Welt. Soweit wir mit unserem Bewusstsein von diesen abhängig sind, ist Leiden vorprogram-miert. Denn die Welt der Formen hält nicht, was sie verspricht. Sie verändert sich von Moment zu Moment. Nichts kannst du festhalten. Auf Gutes folgen immer wieder Schlechtes und Enttäuschung. Nirgendwo in der äußeren Welt gibt es Sicherheit, nirgendwo anhaltenden Frieden.

Viele Ego-Ichs sind unbewusst süchtig nach Problemen, Konflikten, Sorgen und Ängsten, weil sie dadurch eine vermeintlich starke Identität gewinnen. Ihre Parole lautet: „Besser unglücklich sein, als „Nichts“, als „Stille“ sein!“

Erst wenn wir all diese Identifikationen beenden, wenn nichts mehr übrig bleibt, von dem, was wir uns einbilden zu sein, kann unsere wahre Wesenheit aufleuchten.

Was übrig bleibt, wenn wir uns von allen Identifikationen befreien, ist unser nacktes Sein. Aus der Perspektive der dualen, Welt betrachtet ist es ein „Nichts“, weil es keine Formen hat und von unserem Denken nicht erfasst, sondern nur von unserem Innersten gelebt werden kann. Gautama Buddha bezeichnete es als „Anatta“, als das „Nicht-Ich“. Tatsächlich ist es das unvor-stellbare „Eine“ aus dem alle Welt hervorgegangen ist.

„Für Meditation fehlt mir die Zeit!“

Viele Menschen am spirituellen Weg vermeinen nicht genug Zeit zu haben um sich neben Familie, Haushalt, Beruf und sonstigen Aufgaben zurück zu ziehen und zu meditieren. Sie missverstehen das Wesen der Meditation. Meditation ist eine Lebens-Art, eine Lebenseinstellung. Aus der formlosen Dimension betrachtet, „bist“ du seit jeher Meditation, reines Bewusstsein, grenzenlose Weite und Liebe. Du kannst den ganzen Tag mit dieser Dimension verbunden sein. Sie hindert dich nicht bei deiner Arbeit. Im Gegenteil wird sie dich inspirieren und beflügeln.

Auch während der Verrichtung von Aufgaben, die nicht deine volle Konzentra-tion benötigen, wie Körperpflege, Haushalts-Aufgaben, Autofahren, spazieren gehen und so fort, kannst zu laufend in dich hineinhorchen und dein Denken, dein Fühlen, deinen Atem beobachten und dabei mit der „Stille“ in Ver-bindung sein. Insbesondere vor und während heiklen, schwierigen Arbeiten und Entscheidungen gilt es immer wieder darauf zu achten, inwieweit du mit deinem Innersten verbunden und mit dem ganzen Universum in Harmonie, im Einklang bist. Kehre dabei immer wieder zumindest kurz zurück zum be-freienden „Nicht- Denken“.

Beobachte wie wohl es dir tut im Laufe des Tages zumindest kurzzeitig inne zu halten, dich zu entspannen und nichts zu denken! So wird diese Lebens-haltung immer mehr zu einer beglückenden und Kraft spendenden Gewohn-heit.

Und du wirst staunen, wie gut dir all dein Tun „von der Hand“ gehen wird, wie sehr sich Leichtigkeit, Kreativität, Harmonie, Freude und Erfolg in deinem Leben einstellen.

Wie sich vom Ego-Denken befreien?

Es nützt nichts auftauchende Gedanken zu unterdrücken. Es macht keinen Sinn ein besserer Mensch sein zu wollen. All diese Bemühungen entspringen dem Ego und fördern es. Erinnere dich: Im Kern deines Wesens bist du be-reits, vollkommen, bist du Eins mit dem Höchsten.

Beobachte deine Gedanken und Gefühle, doch bekämpfe sie nicht! Ärgere dich nicht über sie, lass sie kommen und wieder gehen, Sei dir bewusst: Du bist nicht deine Gedanken und Gefühle! Doch erkenne, wie sie von deinem Ego, deinem Be- und Verurteilen, deinem Wollen und Nichtwollen befeuert werden.

Identifiziere dich nicht mit deinen Gedanken und Gefühlen. Sie kommen ganz alleine daher. Sie entsprechen deinen Genen, deinem angeborenen Charakter, deiner Erziehung, deiner Umwelt und tausend anderen Faktoren. Sie haben, ebenso wie dein Körper, eine vorbestimmte Mission in deinem irdischen Dasein zu erfüllen. Inwieweit du fähig bist, dich von deinen angeborenen und anerzogenen Prägungen zu befreien, ist abhängig von deiner Bewusstseinsstufe. Doch darauf einzugehen würde den Rahmen dieses Briefes sprengen.

Beobachte deine Gedanken, Gefühle und Willensimpulse so oft wie möglich im Laufe deines Tages. So wirst du deine Denk- und Verhaltensmuster immer besser wahrnehmen. Du wirst lernen die äußere, vergängliche Schale der Er-scheinungen zu durchschauen. Dadurch wird dein Ego automatisch immer schwächer und schwächer und immer leichter fällt es dir in der Stille zu ver-weilen und sie zu genießen.

Wenn du ohne Gedanken, ohne Bedürfnisse, ohne Mangel,

ohne Verlangen bist, dann bist du Gott. Du bist das Universum.

Du bist göttliche Liebe.

                                             Robert Adams – Stille des Herzens

 

 

Frohe und besinnliche Festtage wünscht dir

mit herzlichem Gruß

Bernd