ESSAY-BRIEF

Essay-Brief November 2023

Unsere Welt eine Illusion? Teil 2

© Bernd Helge Fritsch

 

Unsere Irrwege

Kommen wir zurück auf das Beispiel einer Fata Morgana, welches im letzten Essay-Brief angesprochen wurde. Angenommen, wir wollen auf dem Rücken eines Kamels eine Wüste überqueren. Es ist sehr heiß und unser Trinkwasservorrat ist aufgebraucht.

Da, auf einmal, glauben wir in der Ferne einen See mit blauem Wasser wahrzunehmen. Doch es handelt sich dabei nur um eine Fata Morgana. Wenn wir die Täuschung nicht erkennen und daher den richtigen, direkten Weg nicht weiterverfolgen, sondern auf die Fata Morgana zureiten, werden wir vor Ort enttäuscht feststellen, dass es hier kein Wasser gibt und dass wir unnötig Energie bei diesem Ritt zum Ort einer Luftspiegelung verbraucht haben.

Im alltäglichen Leben verschwenden wir ebenfalls sinnlos Energien und leiden, wenn wir die vergänglichen Erscheinungen in der Welt als real anschauen.

 

Der „Jnani“ (Sanskrit der „Erkennende“) hingegen durchschaut die durch unser Denken hervorgerufenen Täuschungen. Er wird nach seiner „Befreiung“ weiterhin die Welt durch seine Sinnesorgane wahrnehmen und die Aufgaben erfüllen, die sein Erdendasein mit sich bringt. Doch bei all dem was ringsum geschieht und was er tut, ist er sich bewusst:

Das ist nur ein vergängliches Schauspiel

auf der Bühne der Erscheinungen!

 

Ich spiele bei diesem Spiel die mir vom Schicksal

bestimmte Rolle so gut es geht.

 

Für mich gibt es dabei weder Erfolg noch Misserfolg.

 

Ich bin bei diesem Spiel glückselig und

frei von allen Sorgen und Ängsten!

 

Ich ruhe in mir und bleibe stets mit meinem Innersten,

mit dem universellen Sein verbunden.

Ich fühle mich geborgen und „Eins“ mit ihm.

 

So offenbart sich mein wahres glückseliges Sein jenseits

der Welt der vergänglichen Erscheinungen.

Karma, Leid und Tod haben für mich keine Bedeutung mehr.

 

 

Vom Umgang mit der Maya

Im letzten Essaybrief wurde aufgezeigt, wie die Welt in der wir leben, einer Illusion entspricht, die sich als Folge unserer Denkweise entfaltet. Nun wirft sich die Frage auf: Wie sollen wir umgehen mit dieser Maya? Wie reagieren wir auf die Ereignisse denen wir begegnen? Sollen wir uns von der äußeren Welt zurückziehen? Sollen wir dieser „Maya“ entfliehen? Die Empfehlung lautet, den äußeren Erscheinungen weder anzuhaften noch sich von ihnen völlig abzuwenden.

In der Regel ist der Mensch verstrickt in die Welt seiner Gedanken. Um sich davon zu befreien ist es notwendig, dass wir unsere Denk- und Verhaltens-Muster fortlaufend beobachten. Auf diese Weise werden wir wie von selbst unsere Fixierung auf die äußere Welt lösen und unser wahres Sein verwirklichen.

 

Der Mensch – Bürger zweier Welten

Der Mensch ist Bürger zweier Welten. Es sind dies die Welt des Denkens und die Welt des Seins.

Die Welt des Denkens

Automatisch neigen wir dazu alles, was wir erfahren, mit der Hilfe unseres Denkens voneinander zu trennen, zu definieren, zu analysieren und zu bewerten. So wird durch unser Denken scheinbar das allumfassende „Eine“ in die unendliche Vielheit der Erscheinungswelt aufgesplittert. Auf diese Weise geht der natürliche Bezug, die Einheit zwischen mir und dem Ursprung aller Erscheinungen, verloren.

Tiere denken nicht wie wir Menschen. Sie können sich nicht selbst reflektieren. Sie handeln instinktiv, entsprechend dem ihnen von der Natur (vom „Einen“) vorgegebenen Programm. Sie hadern niemals mit ihrem Schicksal. Deshalb befinden sich Tiere, auch wenn es ihnen nicht gut geht, wenn sie Schmerzen empfinden, stets in der Einheit mit allem Sein.

Zum Unterschied vom Tier hat sich der Mensch im Laufe seiner Evolution geistig von dieser „Einheit“ nach und nach, immer mehr entfernt. Durch sein fortlaufendes Denken bewirkt er jene Sonderung, wie diese im Gleichnis von der Vertreibung aus dem Paradies so wunderbar geschildert wird. Demnach aßen Adam und Eva die Früchte vom Baum der Erkenntnis von „Gut“ und „Böse“ – was unserem Denken und Bewerten entspricht – und verloren damit ihre Verbindung zum Paradies. Auf diese Weise fehlt den meisten Menschen das beglückende Bewusstsein der Einheit mit allem Sein.

Unbewusst leidet der Mensch fortwährend unter der Trennung vom „Einen“. Unbewusst befindet er sich ständig auf der Suche nach Glück und innerem Frieden. Das macht ihn unglücklich und krank. Seine Suche findet kein Ende solange er nicht erkennt, dass die Erfüllung, die wir im Außen suchen, nur in unserem Herzen gefunden werden kann. Denn das „Das Himmelreich ist in Euch!“ (Luk.17,21) und sonst nirgendwo in der Maya-Welt zu finden.

Die Welt des Seins

Die Welt des Seins, des „Einen“, ist die Welt der Stille, der Vollkommenheit, des Friedens und der Liebe zu allen Erscheinungen.

Erinnern wir uns an die glückseligen Tage früher Kindheit, an die Zeit, in der wir noch in dieser Bewusstseins- Dimension jenseits vom „Gut- und Böse-Denken“ verweilen durften. Dieses „Himmelreich“ geht in der Regel für den Menschen im Verlauf weniger Jahre nach seiner Geburt verloren. Zurück bleibt ein großes, meist unerfülltes Verlangen wieder mit diesem Reich vereint zu sein.

 

Gewöhnlich ist der Mensch einseitig hin orientiert auf die Welt, wie sie unseren Sinnen erscheint. Vergeblich versucht er in dieser Maya-Welt anhaltendes Glück und Erfüllung zu finden. Deshalb lautet eine der wichtigsten Botschaften des Neuen Testaments:

 

„Suchet zuerst das Reich Gottes

und alles andere wird dir hinzugegeben.“

(Mat.6,33)

 

 

Das „Reich Gottes“, diese spirituelle Dimension wird mit vielen Namen wie „Selbst“, „Gott“, „Das Eine“, „Buddha“, „Brahman“ oder „Ich bin“ benannt. Natürlich entspricht keine dieser Bezeichnungen dem „Allumfassenden“, auf welches wir mit Namen nur hindeuten können. Denn unser beschränktes Denken kann das Unendliche nicht erfassen. Wir können es nur fühlen. Wir können es nur sein!

 

Alles ist „Eins“ – alles ist vollkommen

Alles ist „Eins“, Alles ist vollkommen! – Vertraue darauf!

Alles was es gibt, alle Erscheinungen in Maya-Welt, ob sie in unseren Augen „gut“ oder „schlecht“ sind, haben ihren Ursprung, ihre Quelle in dem „Einen“. Unsere Aufgabe besteht darin den göttlichen Ursprung aller Erscheinungen zu erkennen.

Das „Eine“ geht nicht verloren durch seine scheinbare Aufsplitterung in die Vielfalt der Erscheinungen. Tatsächlich kann das „Eine“ nicht geteilt werden. Alles ist und bleibt das „Eine“, auch Gott genannt.

Nur durch seine beschränkte Denkweise fühlt sich der Mensch als einzelnes, fehlerhaftes, hilfsbedürftiges, zuweilen auch als sündiges Wesen, welches sich immer wieder mit bedrohlichen Ereignissen der äußeren Welt konfrontiert sieht. Deshalb glauben wir auch uns besonders anstrengen zu müssen, um Befreiung von allen Sorgen und Problemen zu erlangen.

„Gut“ und „schlecht“ existieren nur auf der Bühne der Maya. Sie existieren nur für unser duales Denken. Beendest du dieses Denken, so erkennst du die Vollkommenheit des Seins.

 

Wenn das „Himmelreich“ bereits in uns ist, müssen wir nirgendwo hinfahren, keine heiligen Orte besuchen, zu keinem Guru gehen, kein Yoga, kein Kundalini oder sonstige spirituellen Übungen praktizieren, sondern nur stille werden. Loslassen von allem Wünschen und sich mit nichts identifizieren genügt. Denn wir sind bereits das „Eine“. Was uns fehlt ist das entsprechende Bewusstsein dafür.

 

Befreiung geschieht durch Hinwendung zum „Sein“

Wie geht diese Hinwendung zum Sein vor sich? Wie lässt sich das Himmelreich in uns finden?

Jede Art der Orientierung zum „Einen“ ist hilfreich! Das Schicksal wird dafür sorgen, dass du entsprechend deiner Bewusstseins-Stufe die richtige Methode, die richtigen Lehrer und Hilfen bekommen wirst. Vertraue dabei dem Universum!

Hingabe bedeutet Aufgabe unseres Ego-Denkens. Den ganzen Tag, bei all unseren Tätigkeiten können wir „Nicht-Denken“ praktizieren und uns im Kontakt mit dem „Einen“ fühlen.

Es gibt viele Wege um ein höheres Bewusstsein für unser „Sein“ zu gewinnen: Gebet, Begegnung mit einem Meister, Studium von Vorträgen und Schriften der Meister. Zu den wichtigsten „Türöffnern“ zählen insbesondere:

„Dein Wille geschehe!“

Wie können wir loslassen? Wie können wir unseren Ego-Willen „hingeben“?

Wiederhole im Geiste immer wieder – „Dein Wille geschehe“ (Mat.6,10) ohne dabei an einen besonderen Gott zu denken. Gott ist Nichts und Alles – und das bist du!

Vertraue dabei in dein individuelles Schicksal, welches identisch mit dem universellen Schicksal ist! Vertraue auf die Weisheit und Vollkommenheit des Seins!

 

Nicht-Denken

Nachdem sich das „Eine“ durch unser Denken aufspaltet in die Vielheit der vergänglichen dualen Erscheinungen, so kehren wir im Nicht-Denken zurück zur unvergänglichen Einheit und Glückseligkeit des wahren Seins.

Nicht-Denken ist Meditation. Und Meditation besteht einfach darin mental still zu sein. Dazu brauchst du keine besondere Technik, keinen Lehrer. Beobachte so oft wie möglich, was in deinem Geist vor sich geht ohne etwas erreichen zu wollen! Das genügt!

Halte im Verlauf des Tages immer wieder inne! Tauche ein in das „Nichts“! Genieße dieses Loslassen vom Denken, dieses „Sich-frei-Fühlen“ von aller Anspannung, die immer mit Denken verbunden ist! Genieße die Freiheit von jeglichem Denk-Zwang.

Nichtdenken erfordert loslassen von unserem Ego, von seinen Ängsten, Sorgen und Wünschen. Es gelingt am besten im Vertrauen auf das „Eine“ auf den „Gott in uns“.

 

Vichara (Sanskrit Selbstbefragung)

Selbstbefragung ist eine uralte im indisch-vedischem Kulturkreis geübte spirituelle Methode um tiefer das „Selbst“, das Wesen des universellen und damit zugleich des eigenen Seins zu erfassen.

In neuerer Zeit empfehlen insbesondere Ramana Maharshi und auch Robert Adams sowie Nisargadatta Maharaj diese Art um über unser gewohnte Selbstbild, um über die gewohnte Selbstidentifikation mit unserem Körper und unserem Mental hinaus zu gehen.

  

Wie geht Vichara vor sich?

Stelle dir immer wieder die Frage: „Wer bin ich?“ und sei dir dabei bewusst, dass es keine „denkbare“ Antwort auf diese Frage gibt! Jede mit Worten ausgedrückte Definition muss falsch sein. Denn wie schon mehrmals gesagt, was wir sind, unser wahres, allumfassendes Sein kann mit unserem, auf die weltlichen Erscheinungen beschränkten Denken, nicht erfasst werden. Unterlasse daher jeglichen Versuch eine intellektuelle Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ zu finden. Es gilt, die Frage nur wirken zu lassen und nicht zu versuchen sie zu beantworten.

Mit der Frage „Wer bin ich?“ versetzen wir uns in einen besonderen Bewusstseins-Zustand jenseits unseres üblichen Tages-Bewusstseins. Das gelingt am besten kurz nach dem Aufwachen oder kurz vor unserem Einschlafen. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns noch oder bereits in einem dem Schlaf ähnlichem Zustand, in dem sich alles Denken aufzulösen beginnt und der Zugang zu unserem wahren Sein erleichtert ist.

 

Durch die Selbstbefragung „Wer bin ich?“ wird jegliche Identifikation beendet. Was bleibt? Reines Bewusstsein!

Daher: Fühle Es! Sei Es!

Und hier zusammengefasst nochmals die Grundvoraussetzungen um „Befreiung“, „Erleuchtung“, „Glückseligkeit“ – wie immer wir „ES“ benennen wollen – zu verwirklichen:

 

• Nichts – Wollen & Nichts - Denken

• Nichts - Sein & Alles - Sein

 

Mit herzlichem Gruß

Bernd

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