ESSAY-BRIEF

Essay-Brief Oktober 2019

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Die Befreiung von Denk- und Verhaltensmustern II

© Bernd Helge Fritsch

 

Wie wir über die Welt denken, so erscheint sie uns. Deshalb lebt jeder Mensch entsprechend seinen Denk-Mustern in seiner eigenen, höchst-persönlichen Welt.

Schicksal und Verhaltensmuster

Im letzten Essay-Brief wurde aufgezeigt, wie unsere Art zu denken und zu handeln durch unsere Gene, durch unsere Erziehung und die Gesellschaft vorprogrammiert ist. Unser Denken und unser Handeln wiederum bestimmen unser Schicksal.

Dieses Schicksal entscheidet bereits vor unserer jeweiligen Geburt über unsere künftigen Seeleneigenschaften und darüber, in welche Lebensumstände wir hineingeboren werden. Somit befinden wir uns anscheinend in einem unentrinnbaren Kreislauf. Denn unsere Denkweise bestimmt unser Schicksal und unser Schicksal bestimmt unsere Denkweise. Gibt es unter diesen Bedingungen für uns noch eine Chance für Veränderung? Haben wir die Freiheit aus dieser meist unseligen Verbindung von Denkgewohnheiten und Karma auszubrechen?

Natürlich besteht diese Chance, sonst wäre der Mensch nur ein Spielball unbekannter Mächte. Völlig sinnlos würden wir im Verlauf unseres Erdenlebens durch Freuden und Leiden diverser Art hindurchgehen.

Indem wir uns bewusst machen, wer wir wirklich sind, können wir den Sinn unseres Erdendaseins erfassen und uns aus dem angesprochenen Kreislauf befreien. Es gilt also konkret zu erkennen wie wir „ticken“, was die Ursache unserer Freuden und Leiden sind. Die Schritte zur Erkenntnis wer wir sind, bilden unsere einzige wesentliche Lebensaufgabe. Zugleich bedeuten sie die Erlösung von allen Übeln, Ängsten und Sorgen dieser Welt.

Radikales Umdenken ist erforderlich

Um zu erfassen wer wir sind, ist ein radikales Umdenken erforderlich. Soweit wir in der Geschichte der Menschheitsentwicklung zurückblicken können, sind uns nur wenige Lichtgestalten bekannt, denen dieses Umdenken gelungen ist. Alle diese Weisen stimmen darin überein, dass es nur ein allumfassendes „Sein“, auch „Selbst“, oder „Gott“ oder „Reines Bewusstsein“ genannt, gibt. Nur dieses „Eine“ hat Realität. Nur dieses Eine hat bleibende Existenz. Alles andere, die unendlich vielen Erscheinungen der Welt, sind von diesem „Einen“ verursacht. Sie sind vergängliche Manifestationen, hervorgerufen von diesem Einen. In ihrer Essenz sind sie nichts anderes als dieses „Eine“, als das „Selbst“, als „Gott“.

 

Die Erscheinungen der Welt sind real, wenn sie als das „Selbst“ (Gott) erfahren werden

und illusionär, wenn sie als getrennt vom „Selbst“ wahrgenommen werden.

Ramana Maharshi.

 

Unser Ego-Dasein

Wenn es nur das „Eine“ gibt, so folgt daraus, dass auch jeder einzelne Mensch dieses „Eine“ sein muss. Doch der „normale“ Mensch ist weit davon entfernt davon sich als das „Alles“, als „Gott“, als ewige Glückseligkeit zu erkennen. Statt über ein „Reines Bewusstsein“ verfügt er vorwiegend nur über ein „Ego-Bewusstsein“. Seine Wahrnehmungen, sein Denken, seine Gefühle und sein Befinden sind nur auf die äußere Welt ausgerichtet. Er kennt nur die Inhalte seines Bewusstseins, die weltlichen, vergänglichen Erscheinungen und lässt sich von diesen beherrschen. Er begegnet aber nicht dem allumfassenden Bewusstsein selbst, seinem eigentlichen glückseligen Sein. Er kennt nur sein vom Rest der Welt isoliertes „Ich habe; Ich will; Ich will nicht“ usw. Daraus resultiert sein „Ego-Bewusstsein“.

Die Grund-Ursache für unser Ego-Denken und Ego-Verhalten ist unsere Identifikation mit unseren Körper und unserem Mind (Denken, Fühlen, Wollen). Diese Identifikation hat zur Folge, dass unser ewiges göttliches „Sein“ (unser Selbst) in unserer Vorstellung eingeschränkt wird auf ein vergängliches, von äußeren Einflüssen bedrohtes und von seiner Umgebung abgetrenntes „Ich“. Das heißt, wir selbst begrenzen uns durch unser Denken. Denn wir sind - wie schon erwähnt - was wir glauben zu sein und bestimmen dadurch unser Lebensgefühl, unser Glücklich- und Unglücklich-Sein.

Nur wenn wir wahrnehmen, dass wir das „Selbst“, das göttliche vom vergänglichen Körper unabhängige „Eine“ bereits sind, immer waren und immer sein werden, ist Befreiung und damit anhaltender Frieden und Glückseligkeit möglich. Mit unserem Ego und dessen Fehl-Denken löst sich auch unser Karma auf, denn unser Schicksal betrifft nur unseren Körper und unsere Gedankenwelt, nicht aber unser wahres Sein.

Was ist das Selbst?

Was das Selbst ist, kann mit Worten nicht erklärt werden. Du kannst das Selbst nur fühlen, nur sein. Worte sind kristallisierte Gedanken. Gedanken bewegen sich immer auf einer dual unterscheidenden Ebene. Sie können sich nur durch die Sonderung des einen Objektes vom anderen entfalten. Das „Selbst“ hingegen umfasst immer das Ganze. Es bleibt immer die „Eins“ auch wenn es sich in der Vielfalt der äußeren Welt manifestiert. Das „Eine“ kann daher niemals zu einem Objekt werden, welches von einem Subjekt beobachtet und erkannt wird, wozu also die „Zwei“ erforderlich ist. Anders gesagt, unser auf Unterscheidungen aufbauender und damit begrenzter Verstand kann das Unbegrenzte nicht ergreifen.

 „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“

Wie schon Goethe in seinem „Faust“ zum Ausdruck brachte, sind alle vergänglichen Erscheinungen der äußeren Welt, inklusive unserer Persönlichkeit, inklusive unserer Gedanken, nur ein Gleichnis. Die Wunder welche wir überall in der Natur, und ebenso bei unserem Körper, in unserem Denken und Fühlen wahrnehmen können, bilden nur einen Hinweis auf die unendliche Weite, Schönheit und Liebe des dahinter wirkenden göttlichen Seins.

Die alten indischen Weisen versuchten auf das unbeschreibbare „Eine“ mit den Begriffen: „Sat, Chit, Ananda“ (Sein, Bewusstsein, Glückseligkeit) hinzudeuten. „Sat“ bedeutete für sie „Bewusstsein in Ruhe“, also das „Eine“ bevor es sich in der Vielheit der Welt manifestiert. „Chit“ (Reines Bewusstsein) bildet den „Raum“ in dem die Vielfalt und die Ereignisse des Lebens erscheinen. Ananda, „Glückseligkeit“ oder auch „tiefer Frieden“, ereignet sich, wenn der Gott im Menschen nach seiner Inkarnation in die Welt, wieder zum „Einen“ zurückkehrt, wenn unser menschliches, auf Erscheinungen fixiertes Bewusstsein wieder zu seinem göttlichen Bewusstsein, zu seinem „Herzen“ zurückkehrt.

Die Ursache und der Sinn unseres Erdendaseins

Jetzt ergibt sich die Frage, wie der Mensch zu seinem Ego-Fehl-Denken und den damit verbundenen Verirrungen und Illusionen gekommen ist. Welcher Sinn steckt dahinter? Wenn alles Gott (das Selbst) sein soll, so stehen doch die menschlichen Schwächen und all das Mangelhafte und Leidvolle in der Welt dazu in einem krassen Widerspruch!

Die Antwort auf diese Frage ist für unser „normales Denken“ kaum zugänglich. So wird im Folgenden versucht mit einer Parabel die Ursache, den Sinn und das Ziel unseres Erdendaseins, darzustellen.

Unser Erden-Dasein ein Rollenspiel

Die Welt mit ihren Ereignissen kann verglichen werden mit einer Schauspielbühne, auf der ein vom Universum erschaffenes Schauspiel inszeniert wird. Jeder einzelne Mensch wird geboren, um bei dieser Theateraufführung eine spezielle Rolle zu spielen. Dabei ist das „Schauspiel“ unseres Lebens genauso unwirklich, also eine Illusion, wie jedes Drama, welches auf einer realen Theaterbühne zur Darstellung gelangt. Demgemäß bezeichneten die alten indischen Weisen die Welt, wie wir sie erfahren, nach der Göttin, welche entsprechend den religiösen Mythen diese Illusion verursacht, als „Maya“.

Unser Karma (unser Vorleben) bestimmt, welche Rolle uns für die aktuelle Theateraufführung (für unsere gegenwärtige Inkarnation) zugeteilt wird. Unser Schicksal entscheidet ob wir als Frau oder Mann, als Herrscher oder Diener oder in welcher Rolle immer, auftreten müssen.

Am Beginn der Welt, um bei unserem Gleichnis zu bleiben, (tatsächlich ist das Konzept „Zeit“ genauso unwirklich wie der Inhalt eines Theaterstücks), traf die allumfassende Gottheit (das „Eine“, das „Selbst“) die Entscheidung ihre bislang in sich ruhende Einheit in einer vielfältigen Welt in Erscheinung zu bringen.

Neben den mineralischen, pflanzlichen und tierischen Bereichen, erschuf „Gott“ den Menschen. Alle vier Naturreiche, wie sie in der Welt erscheinen sind Manifestationen Gottes. Sein Plan dabei war jedoch sich nicht nur zu „manifestieren“, sondern sich schließlich selbst als Mensch in die von ihm erschaffene „Maya“ zu „inkarnieren“. Dabei wollte er in dieser Welt nicht nur als einziger Mensch erscheinen, sondern er entschied, sich in einer riesigen Buntheit und Fülle menschlicher Individualitäten zu verkörpern.

So geschah es, dass im Laufe der Zeit Milliarden von „Göttern“ als menschliche Wesen, jeder mit einmaligen Eigenschaften, in die Welt der Maya hinein geboren wurden. Somit ist jeder Mensch „Gott“ selbst, der sich bei seiner Geburt mit einem Körper verbindet. Dieser Vorgang ermöglicht dem Einen in unzähligen menschlichen Gestalten durch bestimmte Entwicklungs- bzw. Lern-Prozesse auf der Bühne der Welt hindurch zu gehen.

Wenn hier von „Gott“ die Rede ist, so sollten wir uns diesen nicht wie üblich als anthropomorphe, übermächtige Vaterfigur im Himmel, sondern – wie weiter oben erwähnt – als das unbeschreibbare „Eine“ vergegenwärtigen.

Das Drama des Mensch-Seins

Die Dramatik bei diesem Geschehen entsteht dadurch, dass praktisch jeder Mensch, unmittelbar nach seiner Geburt, sein ursprüngliches „Eins – bzw. Gott-Sein“ vergisst. Geblendet durch seine Verbindung mit einem Körper sowie von den sonstigen Erscheinungen der Welt, verliert er die Erinnerung an seine Herkunft.

Deshalb identifiziert sich praktisch jede Person mit ihrem Körper, mit den Inhalten ihres Denkens, mit ihrem Charakter, mit ihrer Familie, mit ihren Besitztümern und mit all den Freuden und Leiden, die sie während ihres Erdenaufenthaltes durchmacht.

Doch all das sind wir nicht. All das ist ebenso unwirklich wie ein Traum. Wir sind nicht das, was wir normalerweise glauben zu sein. Wir sind das allumfassende „Eine“, welches sich nur vorübergehend in einem menschlichen Körper inkarniert.

Weil wir unseren „Tag-Traum“, diese Maya als Realität ansehen, betrachten wir uns als zerbrechliches und vergängliches Wesen, welches durch die Freuden und Leiden des Lebens hindurch gehen muss. Diese Einstellung bewirkt all unsere Probleme, Ängste und Nöte.

 

Wisse, dass du das Unendliche bist

dann muss alle Furcht schwinden.

Sag immer: „Ich und der Vater sind eins“

                                                                            Vivekananda

 

Der Mensch eine Fehlentwicklung der Evolution?

Fragen wir uns nun: „Ist damit der Versuch der Gottheit den Menschen zu seinem „Ebenbilde zu erschaffen“ gescheitert? Warum verliert sich der Mensch in der Maya der Erscheinungswelt? Warum glaubt er ein auf seinen Körper beschränktes Wesen zu sein, welches geboren wird und wieder sterben muss?“

Nein, keine Sorge! All unsere Erdennöte waren so von Anfang an im Plan der allumfassenden Gottheit vorgesehen. Erst indem sich das ursprünglich in sich ruhende göttliche „Eine“ in die Vielheit der Welt und in unzählige Individuen aufspaltet, kann das „Eine“ sich seiner selbst bewusst werden. Erst aus der Perspektive der „Dunkelheit“, welche die Maya in uns bewirkt, kann das „Licht“ erkannt werden. Der „verlorene Sohn“ muss das „Vaterhaus“ verlassen und sich in die Nöte des irdischen Lebens verlieren, um sich selbst, um den Wert seines göttlichen Ursprungs zu erkennen.

So wie das Auge sich selbst nur in einem Spiegel, in dem ein „Nicht-Auge“ erscheint, betrachten kann, dient die Welt der Gottheit um sich selbst wahrzunehmen und dadurch ein höheres Bewusstsein zu erlangen. Weisheit, Schönheit, Liebe, die Unvergänglichkeit und Glückseligkeit, die ursprünglich nur potentiell im „Einen“ vorhanden waren, können nur, wenn wir zuvor durch die Dunkelheit, das Leid, und die Vergänglichkeit der Maya hindurch gehen, realisiert werden. Indem der verlorene Sohn sein Ego überwindet und Weisheit, Hingabe und Liebe zu dem was ist entfaltet, entsteht dieses neue, zuvor im gesamten Universum nie dagewesene, höhere Bewusstsein. Deshalb feiert der Vater des verlorenen Sohns, als jener wieder nach Hause zurück kehrt, ihn in ganz besonderer Weise.

 

Fortsetzung folgt

 

Mit herzlichem Gruß

Euer Bernd