ESSAY-BRIEF

Essay-Brief September 2014  

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Was ist Liebe? – Teil II (Die Essenz der Bhagavad Gita Teil X.)

© Bernd Helge Fritsch

 

Am Ende des letzten Essay-Brief wurde die Frage gestellt, wie es möglich sei mit Gott (dem universellen Bewusstsein) der unsichtbar, undenkbar und allesumfassend ist in Verbindung zu treten. Wie können wir etwas lieben und verehren was wir nicht kennen? Die Antwort ergibt sich aus mehreren Versen der Bhagavad-Gita, die in etwa dieselbe Botschaft enthalten, wie der folgende Vers:

10:20 (Krishna:) Ich bin, Arjuna, das Selbst (der Atman) welches das Innerste eines jeden Menschen bildet. Ich bin der Beginn, die Mitte und das Ende aller Geschöpfe.

Im Kern deines Wesens bist du reines Bewusstsein

Jeder Mensch bildet im Grunde seines Wesens ein eigenes Zentrum von göttlicher Bewusstheit. Unser Bewusstsein ermöglicht uns die Eindrücke von der Aussenwelt (Bilder, Töne, Gerüche, Geschmacks- und Tast-Wahrnehmungen), welche durch unsere Sinnesorgane in unseren Körper gelangen, wahrzunehmen. Insofern unterscheidet sich unser Bewusstsein nicht von dem der Tiere. Bei fortgeschrittener Achtsamkeit sind wir jedoch mit unserem Bewusstsein auch in der Lage die Vorgänge in unserem Inneren (Gedanken, Gefühle, Willensimpulse) zu beobachten. Schließlich sind wir sogar fähig, das „reine“ Bewusstsein, ohne Inhalte, unseren göttlichen Wesenskern, zu reflektieren.

Das Bewusstsein selbst hat keine sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften und ist mit dem Verstand nicht fassbar. Es ist jenseits dualer Vorstellungen. Vergleichsweise kann es beschrieben werden als der „Raum“ in uns, in dem alle Wahrnehmungen erscheinen.

Wir SIND gewissermaßen dieser „Raum“. Man kann ihn als „Nichts“ oder auch als „Alles“ bezeichnen. So wie aus dem universellen Bewusstsein (Gott, Brahman) alle Schöpfungen entspringen, so ist auch das menschliche Bewusstseins-Zentrum fähig kreativ zu wirken. Alle menschlichen Schöpfungen, Ideen und Erfindungen stammen aus diesem Zentrum.

Auch die Welt, wie sie uns erscheint, entspringt unserem Bewusstsein. Sie ist von uns selbst geschaffen, weil wir sie individuell, unserer Veranlagung, unserem Charakter und unserem Wissen entsprechend betrachten und erdenken, beurteilen und verurteilen, beachten und nicht beachten, lieben und hassen und mit verschiedensten Gefühlen verbinden. Wie wir unsere Träume gleichsam aus dem „Nichts“ oder aus dem Unterbewusstsein erschaffen, so ähnlich kreieren wir, verbunden mit unserem Körper und unseren Sinnen, unsere Tages-Welt.

Der Vergleich unseres Bewusstseins, auch höheres „Selbst“ genannt, mit einem „Raum“ hinkt natürlich erheblich. Unser Zentrum ist nicht nur der Raum in dem alle Wahrnehmungen „sichtbar“ werden, sondern auch der Quell umfassender Liebe, Weisheit und Glückseligkeit.

Die alten indischen Weisheits-Lehrer haben den individuellen göttlichen Bewusstseins-Kern „Atman“ genannt. In anderen Kulturen wird er auch als „Christus in uns“ oder „Buddha in uns“ bezeichnet.

Weil unsichtbar, unbeschreibbar und mit dem dualen Denken nicht erfassbar, können Worte das Wesen des Atman nur andeuten. Worte können unseren Verstand bis zur Grenze zwischen der dualen Denkweise und dem Übersinnlichen heranführen und aufzeigen, wie wir, diese Grenze überschreiten können. Dieser Mission dienen die Worte der großen Weisheitslehrer ebenso wie die Verse der Bhagavad-Gita.

Einkehr bei sich selbst

Ich bin kein Anhänger einer Glaubensrichtung und empfehle euch „nichts“ zu glauben. Durch „glauben“ fügt ihr nur neue Denkmuster zu euren alten hinzu. Meine Worte sollen nur dazu anregen, die Wahrheit in sich selbst zu finden. Auch Jesus wollte keinen neuen „Glauben“ in die Welt bringen.

Es ist gar nicht so schwer zumindest einen ersten Eindruck, ein Gefühl von unserem höheren Bewusstsein, von unserem Wesenskern zu bekommen. Ich lade dich zu folgender Übung ein:

Beobachte mit offenen oder geschlossenen Augen all das, was jetzt in deinem Bewusstseins-Raum erscheint! Geräusche, Bilder, Gedanken und Gefühle. Beobachte deinen Atem. Dabei unterlass möglichst alles intellektuelle Benennen oder Beurteilen. Denke nicht an die Zukunft oder Vergangenheit. Verweile ganz im „Hier und Jetzt“. Du befindest dich so im Zustand „reiner Wahrnehmung“. Genieße diese zeitlose Zeit der Gedankenfreiheit, des absichtslosen „Seins“, des Gefühls der Freiheit, Liebe, der Hingabe an den Augenblick und das Glücks welches damit verbunden ist.

Auf diese Weise beobachtest du, nicht nur der Dinge im Bewusstseins-Raum, sondern es wird dir zugleich auch, bei entsprechender liebevoller Achtsamkeit und Gelassenheit, dein Wesen als Bewusstsein, in dem alles entspringt, in dem alles erscheint, offenbar. Du benötigst dazu kein Wissen und kein Denken. Im Gegenteil, das funktioniert nur in der Stille jenseits des Denkens.

Dieser Vorgang bedeutet „Einkehr bei sich selbst“. Dein höheres Selbst (der Atman) ist der Beobachter der Erscheinungen, die in ihm (in seinem Bewusstsein) auftreten und zugleich kann dieser „eigenschaftlose“ Beobachter seiner selbst gewahr werden. So begegnest du dir selbst. Du erfährst dein einmaliges Sein jenseits von Geburt und Tod, jenseits des Denkens.  

In der christlichen Mystik wird dieser innere Vorgang Kontemplation, in der altindischen Lehre Meditation und in der buddhistischen Tradition Vipassana genannt. Auf diese Art kannst du, zuerst nur ahnungsweise und schließlich durch fortgesetzte Übung immer deutlicher und tiefer, dein eigentliches Wesen, dein transzendentes Zentrum erfahren.

 

Du bist Gott

Eine wesentliche Voraussetzung für dieses Erfahren besteht darin, dass unser Verstand möglichst ruhig und friedvoll ist, dass wir ganz präsent sind. Das bedeutet, dass wir nicht unnötig mit der Vergangenheit und Zukunft beschäftigt sind, dass wir nichts bewerten, nichts ablehnen oder haben wollen. So hingegeben an den Augenblick, offenbart sich das, was wir wirklich sind: göttliches Bewusstsein, allumfassende Liebe, oder kurz gesagt „Gott“.

„Was ich soll Gott sein? Welche Blasphemie!“ Höre ich manchen von christlicher Tradition geprägten Menschen bei diesen Zeilen aufjaulen. Doch, war nicht Jesus derselben Meinung wie die alten indischen Weisheitslehrer? Behauptet er nicht, dass wir alle Götter sind?

Jesus zitiert im Johannes-Evangelium den Psalm 82,6:

„Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz «Ich habe gesagt: ihr seid Götter»?“ Joh.10,34

 

Allerdings gibt es wohl kaum einen „Christen“, der bereit ist diese Worte ernst zu nehmen und diese Glückseligkeit in seinem Bewusstsein zu verwirklichen.

Nach altindischer Lehre ist unser Wesenskern, unsere Bewusstsein, gleichartig wie das göttliche, allumfassende Bewusstsein, wie Gott, der Schöpfer, Erhalter und Vernichter allen Seins. Der Atman, das Zentrum von Bewusstheit eines jeden Menschen, ist wesensgleich mit Brahman, dem allumfassenden Bewusstsein, doch zugleich individuell verschieden. Der Mensch bildet innerhalb des allumfassenden Bewusstseins der Gottheit eine eigene Individualität, ein eigenes Zentrum von Bewusstheit. Das heißt, wir sind EINS mit allem und doch eigenständige Individualitäten. Jeder Mensch ist vorstellbar wie ein einmaliger Ton in der allumfassenden Symphonie des Lebens. Wenn wir unsere Berufung erfüllen, wenn wir das Leben, wofür wir geboren wurden, wenn wir unseren ureigenen Ton spielen, so verschmelzen wir mit der Harmonie und Glückseligkeit des ganzen Universums.

Um Gott zu lieben, musst du Gott sein

Weil wir daher nicht nur individuelles Bewusstsein haben und sondern im Seelengrunde zugleich universales Bewusstsein (Gott) sind, brauchen wir nur stille sein und in uns hinein zu horchen, um unsere Einheit mit Gott wahrzunehmen.

In diesem Sinne erklärt auch der große Mystiker Angelus Silesius:

Du brauchst nach Gott nicht schreien, der Brunnquell liegt in dir,

stopfst du den Ausgang nicht, es flösse für und für.

 

Der „Stopfen“ von dem Silesius spricht ist der Lärm unserer rastlosen Gedanken.

Wie du Liebe nicht „machen“, sondern nur „sein“ kannst, so bedeutet „Gott“ zu lieben und zu verehren, „Gott“ zu sein. Doch vergiss alle deine bisherigen   Vorstellungen vom Höchsten! Solange du an etwas sinnlich Vorstellbares und an etwas von dir Getrenntes denkst, verfehlst du es. Mit einer Seelenstimmung der Gelassenheit, des Schicksals-Vertrauen, der Liebe und Allverbundenheit kommst du der Wahrheit vorerst am Nächsten.

Dienen oder Meditieren

In der Bhagavad-Gita erklärt Krishna immer wieder wie wir die Vereinigung mit uns Selbst, mit Gott vollziehen können.

Im Kapitel XII unterscheidet die Gita zwei Arten der Verehrung und Hingabe an Gott:

  1. Den hingebungsvollen Dienst gegenüber der von Gott erschaffenen Welt. Die Basis dafür ist die Liebe zur Natur und zu allen Lebewesen. Diese verwirklichen wir, wenn wir unsere täglichen Aufgaben, selbstlos ohne Erwartung von Lob, Anerkennung und Erfolg erfüllen.
  2. Die meditative Hingabe an das Unvergängliche, Undefinierbare, Undenkbare und Unveränderliche.

 

12:2 Jene, die mich in allen Erscheinungen wahrnehmen und mich mit ernsthaften Glauben verehren und mir dienen, diese betrachte ich als im Yoga vollkommen.

12:3-4 Aber diejenigen, die das Unmanifestierte, Unveränderliche, Undefinierbare und Undenkbare verehren, indem sie ihre Sinne beherrschen; die in allen Lagen gleichmütig sind, sich an dem Wohl aller Wesen erfreuen, diese gelangen ebenfalls sicher zu mir.

 

Die Gita beschreibt den zweiten Weg (das Bewusstsein auf das Nicht-Offenbare zu richten) als den schwierigeren Weg, denn er erfordert disziplinierte Beobachtung des eigenen Innenlebens:

12:5 Allerdings gehen diejenigen, die ihr Bewusstsein auf das Nicht-Offenbare richten einen schwierigeren Weg, denn es erfordert von verkörperten Seelen eine hohe Konzentration um sich dem Undenkbaren anzunähern.

 

Beide Wege benötigen die gleiche Geisteshaltung: Loslassen von unserem Ego-Denken, das bedeutet Loslassen von dem Vergangenheits- und Zukunftsdenken, von Wünschen, Erwartungen, Ängsten und Sorgen, Loslassen von Macht- und Besitz-Gier, Kritik-Sucht, Tratsch-Sucht, Besser-Wissen, Eifersucht, von Selbstbedauern, Ärger und Zorn. Gefordert sind: Mind-Beobachtung, Gelassenheit, Zufriedenheit, Dankbarkeit, entschlossenes Streben nach Erkenntnis und Bewusstheit und die Bereitschaft das Schicksal und die Menschen anzunehmen und zu lieben wie sie sind.

12:13-14 Wer niemanden gegenüber feindlich gesinnt ist, sondern freundlich und hilfsbereit, wer sich von Selbstsucht befreit, wer gleichmütig bleibt in Freude und Leid, wer stets zufrieden ist und mit Entschlossenheit seinen Weg zur Selbst-Befreiung geht und wer seine Intelligenz für die Hingabe an mich verwendet, der wird mit mir vereint.

12:15-20 Wer keine Erwartungen hat, rein ist im Handeln, sich keine Sorgen macht, nicht trauert und nicht begehrt, wer sich gegenüber Feind und Freund gleich verhält, von Lob und Tadel nicht berührt wird, wer schweigsam ist und an keinen Mitmenschen und keinem Besitz hängt, wer beharrlich dem höchsten Ziel folgt, der lebt in Harmonie mit mir.

 

Die beiden Wege entsprechen unserer Berufung als Mensch während unseres  Erdenlebens. Zum einen sind wir aufgerufen mit Hingabe die täglich an uns herangetragenen Aufgaben erfüllen. Wir verwirklichen damit unsere Liebe zu allen Wesen und erfahren im selbstlosen Dienen die Seligkeit des Gebens. Zum anderen benötigen wir den Weg der Besinnung, der meditativen Stille, des „Nichts-Tun“ um bewusst in die Einheit mit dem höchsten Sein zurück zu kehren.

Der eine Weg bedingt den Erfolg des anderen. Ohne liebevolles, freudiges und selbstloses Wirken in der erscheinenden Welt, können wir keine spirituellen Fortschritte machen. Zum anderen bleibt alles weltliche Tun hohles, eitles, fruchtloses und letztlich leidvolles Tun, wenn wir uns nicht unserer wahren Wesenheit zuwenden. Deshalb sind die beiden Wege des „weltlichen Wirkens“ und der „meditativen Einkehr bei uns selbst“ nicht voneinander zu trennen.

Im nächsten Essay-Brief werden wir uns mit der praktischen Bedeutung von „Liebe“ in Partnerschaften auseinandersetzen.

 

Mit herzlichem Gruß

Bernd

 

 

P.S.: Ein Hinweis auf die Wochenend-Seminare im Herbst 2014:

 

 „Erfüllung in der Liebe – Mit und ohne Partnerschaft!“

Ort: Bildungshaus Schloss Krastowitz / Kärnten / Österreich

Zeit: Freitag 10. Okt. bis Sonntag 12. Okt. 2014

Ein Rahmenprogramm für 09. Nachmittag und 10. Okt. Vormittag wird angeboten

 

„Leben ohne Grenzen – Aus der Sicht der Bhagavad-Gita“

Ort: Seminarhotel Prielbauer/ Salzburg/ Mondsee / Österreich

Zeit: Freitag 31. Okt. bis Sonntag 02. Nov. 2014

 

Nähere Infos zu den Seminaren findet ihr im Flyer im Anhang des Rundbriefes

und auf unserer Homepage www.berndhelgefritsch.com

Aus organisatorischen Gründen ersuchen wir die Teilnehmer um ehestmögliche schriftliche Anmeldung!