ESSAY-BRIEF

Essay-Brief Jänner 2017

Briefe

Bücher

Team

Kontakt

Home

Aktuell

„Anhaltend glücklich sein“ – Teil 2

© Bernd Helge Fritsch

 

Der Arme und der Reiche

Es gibt einige Märchen mit dem Inhalt, dass jemandem durch eine Fee, einen Geist oder Gott die Erfüllung von drei Wünschen freigestellt wird. Unter diesen Märchen ist eins der schönsten die Erzählung „Der Arme und der Reiche“ der Gebrüder Grimm. Wenn du es lesen und vielleicht deinen Kindern oder Enkeln erzählen willst, findest du es im Anhang dieses Rundbriefes. Durchwegs ist die Botschaft dieser Märchen mit den drei freien Wünschen, dass jene, die gierig nach Reichtum und anderen Schätzen in der Welt suchen, nicht glücklich werden. Der bescheidene „Arme“ hingegen, wie im Märchen der Brüder Grimm geschildert, wünscht sich nur Seelenfrieden und dass er und seine Frau, solange sie leben, gesund bleiben und ihr notdürftiges tägliches Brot haben. Er verzichtet sogar auf die Geltendmachung eines dritten, ihm gewährten Wunsches. Dafür beschenkt ihn der „liebe Gott“ zusätzlich mit einem neuen Haus.

In der Symbol-Sprache klassischer Märchen verweist der „Arme“ auf einen Menschen dessen Denken nicht von vielen Wünschen und Sorgen beherrscht wird. Er gleicht jenen, die Jesus in der Bergpredigt als die „Armen“ bezeichnet („Selig sind die Armen im Geiste!“). Das „neue Haus“ bedeutet in der spirituellen Sprache ein neues, höheres Bewusstsein. Das bekommt derjenige „hinzu geschenkt“, der wie der „Arme“ im Märchen der Brüder Grimm liebevoll der Welt und den Menschen begegnet und sich vom „Reichtum“ unnötiger Gedanken befreit.

Wunschlos glücklich sein

Was würdest du dir wünschen wenn du drei Wünsche frei hättest? Würdest du dir wünschen „wunschlos glücklich zu sein“? Macht es Sinn für dich „arm im Geiste“ zu sein? Nur für wenige Menschen ist dies ein Ideal. Denn das Ego-Bewusstsein lebt von seinen Wünschen und seinem Suchen nach dem Glück.

Die meisten Menschen sind vorwiegend mit der Frage beschäftigt: „Wie kann ich das bekommen, was ich von der Welt erwarte?“. Der Sinn ihres Lebens besteht darin, mehr oder minder rastlos nach der Erfüllung ihrer Wünsche zu streben.

Der Ego-Mensch „braucht“ Wünsche, Hoffnungen und Ziele um sich definieren zu können. Er vermag nicht aus sich selbst zu leben. Um sich zu „spüren“ benötigt er äußerer Stützen. Er ist unfähig einfach das zu sein und zu leben, was er im Grunde seiner Seele schon immer ist – reines Bewusstsein.

Selbst in der Partner-Liebe will er sich bestätigen. Er will immer etwas bekommen oder erreichen. So erfährt er niemals den Zustand anhaltender Liebe und Glückseligkeit, welcher sich erst dann einfindet, wenn wir unser Wünschen, Wollen und Suchen beenden.

Das „wahre Ich“ braucht keine Identifikationen. Es lebt aus sich selbst. Es definiert sich nicht mit seiner Vergangenheit, mit seinen Erfolgen oder mit dem was es durchgemacht hat. So vermag es eins zu werden mit dem grenzenlosen Sein.

Und ganz praktisch gesehen, ist das Leben viel einfacher und schöner, wenn ich jeden Tag einfach das tue, was zu tun ist und nicht glaube Ziele erreichen zu müssen. Erfolgs-Süchtige hingegen kämpfen um ihr Glück und sind dafür sogar bereit ihre körperliche und seelische Gesundheit zu opfern.

Vom unbewussten Eins-Sein, über das Ego-Bewusstsein zum befreiten Bewusstsein

Jeder Mensch wiederholt im Zuge seines Erdenlebens die ganze Evolution der Menschheit. Sie beginnt mit der noch „unbewussten“ Verbundenheit mit allem Sein. Dieses Gefühl des „Eins-Sein“ mit der Natur und allen Lebewesen verwandelt sich in die eingebildete Trennung von der Einheit und strebt zuletzt zur „bewussten“ Einheit mit allem Sein.

Das Kleinkind befindet sich noch, so wie dies in vergangenen Zeiten bei den einfachen, mit der Natur eng verbundenen Menschen der Fall war, in der seligen Einheit mit sich und der Welt. Nach und nach jedoch beginnt das heranwachsende Kind sich mit seinem Körper, seinen Gedanken und Wünschen zu identifizieren und entwickelt so das Gefühl, ein von der restlichen Welt getrenntes Wesen zu sein. Damit verbunden beginnt die Ausformung des Ego-Bewusstseins mit seinen Ängsten, Zielen, Erwartungen und Enttäuschungen.

Zur Entfaltung seiner Individualität benötigt der Mensch diese Ego-Lebensphase, in der er durch die Freuden und Leiden seines Ego-Seins hindurch geht. Und so ist es auch gut, wenn er sich in diesem Lebensabschnitt in Leidenschaften, Herausforderungen und Abenteuer verwickelt.

Betrachtet man sorgfältig die etliche hunderttausend Jahre andauernde Evolution der Menschheit, so strebt diese in den letzten Jahrtausenden einem Höhepunkt in der Ausformung des kollektiven und individuellen Egoismus zu. Jetzt gilt es für die Menschheit eine Umkehr zu vollziehen.

In diesem Sinn ist auch das einzelne Individuum, spätestens ab der Mitte seines Lebens aufgerufen, sich seines geistigen Ursprungs bewusst werden. Um seine Erdenmission zu erfüllen, und Glückseligkeit zu erreichen ist es für ihn notwendig sich wieder von seinen angehäuften Ego-Denk- und Verhaltens-Mustern zu befreien.

Diese dritte Lebens-Phase, die begleitet wird von einem natürlichem Nachlassen der Kräfte des Körpers, ist für den Menschen die ideale Zeit um wieder Abstand von den Ereignissen der äußeren Welt zu gewinnen und sein wahres Wesen zu verwirklichen. Wurde er bisher gleichsam wie ein kleines Schiff von den erfreulichen und unerfreulichen Wellen auf dem Ozean des Lebens, hin und her geschaukelt, so ist für ihn jetzt die Zeit kommen, einen Anker im Zentrum seines Bewusstseins zu finden. Bisherige Leidenschaften, Turbulenzen, Stress und Sorgen werden auf diese Weise in Behutsamkeit, Achtsamkeit, Freude am Augenblick und in beglückende Einkehr bei sich selbst verwandelt.

 

Der Wunsch nach Glück entsteht, weil Ihr Wesen selbst Glück ist und es daher natürlich ist, danach zu streben. Aber Glück wird nirgendwo anders als im Selbst gefunden. Schauen Sie daher nicht anderweitig nach ihm aus. Suchen Sie das Selbst und bleiben Sie darin.

Ramana Maharshi  

 

Eine Fortsetzung zum Thema „Glücklich-Sein“ folgt mit dem nächsten Essay-Brief.

Herzliche Grüße

Bernd