ESSAY-BRIEF

Essay-Brief  August 2018

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Die Stille, die du bist und der Sinn unseres Erdenlebens – Teil 2

© Bernd Helge Fritsch

 

Verwirklichung

Als Nisargadatta Maharaj (indischer spiritueller Lehrer geb. 1897, gest. 1981) gefragt wurde wie seine „Verwirklichung“ vor sich gegangen sei, antwortete er:

„Bevor mein Guru starb, sagte er zu mir: „Glaube mir, Du bist die Höchste Realität! Zweifle meine Worte nicht an. Ich sage dir die Wahrheit – handle entsprechend!

Ich wurde sehr still und einfach. Ich stellte fest, dass ich weniger und weniger begehrte und wusste. Ich konnte nur mehr zu meiner Verwunderung feststellen: Ich weiß nichts! Ich will nichts!“

Zitat aus: Nisargadatta „Ich bin“ Teil 3, Kamphausen Verlag-Seite125

 

Wie können wir Menschen Zweifel daran haben durch und durch von göttlichem Bewusstsein durchdrungen zu sein? Beobachte bloß deinen Körper, dieses einmalige Wunderwerk. Beobachte wie er atmet, lebt, denkt, spricht und so fort! Welche überirdische Weisheit und Liebe verbirgt sich dahinter! Nicht nur als körperliche Erscheinung, sondern vorrangig als geistiges Wesen sind wir nichts anderes als das Höchste, als „Reines Bewusstsein“. Allerdings besteht die Freiheit des Menschen unter anderem darin, sich von diesem Bewusstsein abzuwenden. Wir haben die Freiheit uns einzubilden ein beschränktes, sterbliches, allein für sich existierendes Wesen zu sein, ein Wesen, das ständig um sein Wohlergehen kämpfen muss.

Die Ganzheit (Totalität) des Seins

Wir erkennen nicht, dass alles weltliche Geschehen, unser Erdendasein und all unsere Handlungen Teil eines großen Ganzen sind. Wir bilden uns ein, autonom ein „Denkender“ und „Handelnder“ zu sein. Doch in Wirklichkeit ist unser Denken, Fühlen und Handeln eingebunden in die Summe aller Kräfte, welche die Welt bewegen.

Unser persönliches Denken, Fühlen, Wollen und Handeln wird durch unzählige Faktoren bestimmt – durch unsere Gene, durch unsere Erziehung, durch die Gesellschaft in der wir leben, durch den Wechsel von Tag und Nacht, durch den Einfluss des Mondes und der Sterne. Wir selbst wiederum beeinflussen nicht nur unser Umfeld sondern auch das ganze restliche Universum. Jedes einzelne Geschehen steht in Verbindung mit allem anderen Geschehen. Zusammen bilden sie ein göttliches dynamisches und vollkommenes Ganzes.

Deshalb mach dir keine Gedanken wie deine Zukunft aussehen wird. Mach dir keine Sorgen ob dein „kleines ich“ wohl die richtigen Entscheidungen trifft! Vertraue der Totalität des Seins. Das einzig Wichtige für dich und die Welt ist ein präsentes Bewusstsein.

Der Drang zur Manifestation

Das Höchste, das universelle Sein (Bewusstsein), Gott oder wie immer wir dieses Höchste benennen wollen, offenbart sich als ein überaus kraftvolles, und ungemein kreatives Bestreben sich in einer grenzenlosen Vielfalt von Formen und Wesen zu verkörpern. Staunend dürfen wir die Kraft bewundern, welche das Universum mit seinen Galaxien, welche unsere Erde, mit mineralischen, pflanzlichen, tierischen und menschlichen Dimensionen erschaffen hat und ständig neu entstehen lässt. Dabei sollten wir nicht aus dem Auge verlieren, dass wir selbst Teil dieser Kraft sind, oder besser gesagt, mit dieser Kraft identisch sind.

Im einzelnen Menschen kommt der Drang des universellen Bewusstseins, sich in äußeren Formen zu manifestieren besonders deutlich zum Ausdruck. Der Mensch, anders gesagt der „Gott im Menschen“, trifft schon vor seiner Geburt seine Entscheidungen in welchem Körper, mit welchen Eigenschaften, in welchem Land, in welcher Umgebung, in welcher Familie er sich inkarnieren (manifestieren) wird.

Ist der Mensch sodann geboren, setzt sich sein Verlangen nach vielseitiger Manifestation während seines Erdenlebens fort. Das zeigt sich im Spieltrieb des Kindes und der Erwachsenen; in der Freude am Lernen; in dem Streben nach Macht, Ansehen und Erfolg; in der Wahl des Berufes, in der Entscheidung für einen Lebenspartner, in der Gründung einer Familie, in freundschaftlichen Beziehungen, in der Freizeitgestaltung und so weiter fort.

Die Manifestations-Kraft des Menschen offenbart sich insbesondere darin, dass jeder Mensch durch seine gedanklichen Vorstellungen seine eigene Welt erschafft. So wie wir in unseren Träumen aus unserer Phantasie heraus eigene Welten erschaffen, kreieren wir auch während unseres „Wachzustandes“ innerhalb unserer gedanklichen Vorstellungen laufend verschiedene Welten, die wir sodann nach außen projizieren.

Wie die „Einstein’sche Relativitäts-Theorie teilweise bestätigt, gibt es keine objektive, vom Betrachter unabhängig existierende Welt, sondern alle Formen und Bewegungen derselben entspringen der Schöpferkraft unseres Bewusstseins.

Die Geburt der Individualität

Jede Inkarnation bedeutet für das Höchste eine freiwillige Selbst-Beschränkung. Denn der Körper zwingt den Menschen (die inkarnierte Gottheit) seine Bedürfnisse zu befriedigen. Der Körper benötigt Nahrung und verlangt, dass wir uns mit der uns umgebenden Natur, mit dem Wetter, mit Hitze und Kälte auseinander setzten. Im Krankheitsfall will der Körper gepflegt werden. Seine Sexualität drängt den Menschen dazu sich zu vermehren. Sodann fühlt er sich verpflichtet den Nachwuchs zu betreuen und hochzuziehen. Der in unserem Körper und Mind verankerte Überlebenstrieb drängt uns dazu Gemeinschaften zu begründen. Er zwingt uns zur Kommunikation und zur Zusammenarbeit mit anderen Menschen.

Mit all diesen Aufgaben ist zwangsläufig eine „Individualisierung“ der inkarnierten Gottheit verbunden. Denn die spezifischen Lebensbedingungen an einem bestimmten Wohnort erfordern individuelles Denken und Handeln. Individualität bedeutet einerseits Beschränkung, zum anderen entsteht durch sie die herrliche Vielfalt verschiedenster Denk- und Lebensweisen, bewirkt sie die wunderbare Vielfalt der Menschen.

Nicht ein anonymer, im Himmel thronender, strafender und belohnender Gott erschafft die verschiedenen Individualtäten und herrscht sodann über ihr weiteres Schicksal. Wie zuvor aufgezeigt, ist es die Gottheit selbst, die sich inkarniert, die sich freiwillig immer wieder, durch ihre Verbindung mit einem menschlichen Körper, in die Selbstbeschränkung begibt. Durch mehrmalige, hintereinander folgende Inkarnationen formt sie sich selbst zu einmaligen, wunderbaren Individualitäten. Diese durchleben verschiedenste Bewusstseins-Stufen, bis sie so weit fortgeschritten sind, dass sie sich selbst als universelles Bewusstsein, als Gottheiten erkennen.

Ego-Bewusstsein

Unser individuelles Sein, geboren aus unserem universellen Sein, stellt an sich kein Problem dar. Im Gegenteil bedeutet es eine unendliche Bereicherung des Universums und bildet die Basis für eine weitergehende Evolution dieses universellen Bewusstseins. Doch „Individualisierung“, führt, wie die Praxis zeigt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, automatisch zu einer „Egoisierung“ des Menschen. Angenehme und unangenehme Erfahrungen bewirken im Menschen eine Erinnerungs-Spur und führen in der Folge zu verschiedenen reflexartigen Verhaltens-Mustern. Diese äußern sich insbesondere in dem Bestreben befürchteten leidvollen Ereignissen vorzubeugen und möglichst viele lust- und freudvolle Gefühle zu erlangen. Ängste und die Sucht nach angenehmen Erfahrungen entfalten im Menschen Eigenschaften wie: sich Sorgen machen, Gier und Eifersucht, Genuss-Sucht, Machtstreben, Streitsucht, Konkurrenz-Denken und viele andere negative Verhaltensmuster die zwangsläufig in inneren und äußeren Konflikten, in psychischen Störungen und Krankheiten, in Streit und Krieg sowie in Leid und Elend münden.

Egoisierung durch Identifikation

Würde die „Gottheit“ nach ihrer Inkarnation in einem menschlichen Körper weiterhin mit ihrem Bewusstsein in der paradiesischen Einheit verbleiben, so hätte sie keine Probleme. Sie würde soweit erforderlich, den Bedürfnissen ihres Körpers entsprechen und dabei das „Schauspiel“ ihres Erdenlebens genießen. Sie würde sich um die Gestaltung und um das Ende ihres Erdendaseins keine Sorgen machen. Sie hätte keine Angst vor Mangel, Krankheit oder Tod, sondern würde alles Geschehen mit freundlichem, liebevollem Auge beobachten.

Wie sich jedoch zeigt, „vergisst“ die „Gottheit in uns“ im Zuge ihres Aufenthaltes auf der Erde ihre Herkunft. Als „Mensch“ entwickelt sie eine intellektuelle, dual unterscheidende Denkweise. Dadurch entsteht eine Trennung ihres Bewusstseins von der Einheit, vom allumfassenden Sein. Bei kleinen Kindern können wir noch ihre selige Einheit mit Gott und der Welt wahrnehmen. Doch im Zuge ihres Heranwachsens geht ihr anfänglicher Bezug zum göttlichen Sein und ihr tiefes Vertrauen in das Weltgeschehen nach und nach verloren. So geraten früher oder später alle Menschen in ernsthafte Konflikte mit sich und der Welt. Selbst erschaffene Probleme, Ängste und Sorgen säumen sodann ihren Lebensweg.

Wie aus diesen Beobachtungen hervorgeht, ist die Ursache für die Egoisierung des Menschen der Verlust seiner Verbindung zu seinem Ursprung, zu seinem wahren Sein. An ihre Stelle tritt die Identifikation mit seinem Körper und Mind, mit seiner Vergangenheit, mit seiner Familie und seinen Freunden, mit seinen Besitztümern, seinen Erfolgen und Misserfolgen. Unser Körper, unsere Beziehungen, unsere Besitztümer, sie sind stets instabil und vom Untergang bedroht. Deshalb sind Leiden durch unsere Identifikationen vorprogrammiert. Alle Probleme des Menschen resultieren aus Identifikation und Unwissenheit über sein wahres Sein.

Das Gleichnis vom „verlorenen Sohn“

Wie bereits im letzten Essay-Brief angesprochen, wird diese „Egoisierung“ des Menschen, seine Trennung vom allumfassenden Gott-Sein und schließlich seine Rückkehr in die Einheit im Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ (Lukas 15,11-32) wunderbar dargestellt. Dieser Sohn möchte nicht länger in der vorgegebenen universell-göttlichen Bewusstseins-Struktur verweilen. Sein Inneres drängt danach sich zu manifestieren. Er möchte unbedingt ein eigenes Sein, eine eigene Individualität kreieren. Daher entscheidet er sich die bequeme und wohlbehütete Einheit mit seinem Vaterhaus zu verlassen und sich in die reiche Vielfalt des Lebens zu stürzen. Unbewusst wirkt dahinter sein Bestreben sich selbst zu erfahren und sich selbst zu erkennen. Daher zieht er in die Fremde, verprasst seine Erbschaft – das heißt er vergisst seine Göttlichkeit – und gerät auf diese Weise in höchste Not. Nun besinnt er sich wieder seiner Herkunft, seines wahren Wesens. Erst seine Trennung vom Höchsten, lässt ihn den Wert dieses Höchsten erkennen, führt zur Selbsterkenntnis.

Er kehrt zurück ins Vaterhaus in die Einheit, doch er ist jetzt nicht mehr der „Alte“, sondern er ist in der Fremde zur Freude seines Vaters zu einem höheren Bewusstsein herangereift. Er ist durch die Freuden und Leiden des Egobewusstseins hindurchgegangen. Durch Liebe und Erkenntnis hat er schließlich sein Ego transformiert. Er hat Individualität erlangt und ist sich zugleich seiner Göttlichkeit, seiner Einheit mit allem Sein bewusst geworden.

Vom Sinn

Unser kurzes Erdendasein erschöpft sich nicht in einem sinnlosen Kommen und Gehen. Es erschöpft sich nicht in den Freuden und Leiden die wir während der kurzen Zeitspanne unserer Inkarnation erfahren. Primär dient es, wie zuvor aufgezeigt, dem Entstehen einer unbegrenzten Vielfalt von göttlichen Individualitäten.

Wie gesagt, geht jede Individualität durch die „Ego-Bewusstseins-Phase“. Diese bietet ihr die Gelegenheit das universelle Sein mit zwei neuen, besonderen Elementen, mit der Kraft einer besonderen Liebe und der Kraft der Selbst-Erkenntnis zu bereichern.

Erst in der Trennung von der Einheit, wie im „verlorenen Sohn“ dargestellt, können sich diese Kräfte entfalten. Diese beiden Qualitäten sind letztlich eins, denn sie bedingen einander. Denn es gilt: „Ohne Liebe keine Erkenntnis und ohne Erkenntnis keine Liebe“

Die Kraft der Liebe

Diese besondere Kraft der Liebe entsteht mit der Überwindung des Egos. Sie entsteht durch unsere Liebe zu allen Manifestationen, zur Natur, zu allen Wesen und Menschen. Sie verwirklicht sich, wenn wir die Welt lieben wie immer sie in Erscheinung tritt. Sie zeigt sich, wenn wir das selbstsüchtige Bewerten und Einteilen in „Gut und Böse“ beenden und damit über unsere duale Denkweise hinausgehen. Sie offenbart sich, wenn wir das Spiel der Maya durchschauen und uns dadurch von unserem Ego-Bewusstsein befreien.

Die Kraft der Erkenntnis

Das universelle Bewusstsein benötigt als Grundlage zur Selbst-Wahrnehmung das Ego-Bewusstsein des „verlorenen Sohnes“. Wie das Auge alles Sichtbare wahrnehmen kann, nur sich selbst nicht, sondern dazu einen Spiegel benötigt, so kann auch das Bewusstsein alle Welten „schauen“ nur sich selbst kann es nicht erkennen. Es benötigt ebenfalls einen Spiegel, nämlich den „Spiegel des Egos“, um in der Beobachtung seiner Verirrungen letztlich seiner selbst bewusst zu werden.

Das Leid, welches mit dem Egobewusstsein verbunden ist, drängt den „verlorenen Sohne“ sich selbst zu reflektieren. Leid veranlasst das Bewusstsein alle seine Identifikationen zu beenden und so aus dem Traum der Maya zu erwachen.

Was das für den einzelnen Menschen konkret in seiner Lebens-Praxis bedeutet, darauf werden wir im nächsten Essaybrief näher eingehen.

 

Mit herzlichem Gruß

Bernd