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Essay-Brief Dezember  2011

Yoga Philosophie - Vom Umgang mit der Angst

© Bernd Helge Fritsch

 

Zum letzten Erfolgsletter habe ich von einer Leserin ein Mail bekommen, in dem sie schreibt, dass sie häufig unter unerklärlichen Angstgefühlen leide. An sich unbedeutende Vorkommnisse würden bei ihr schmerzhafte Gefühle auslösen, die sich gelegentlich zu richtigen Panikattacken steigern. Sie stellte die Frage, ob Ängste mit unserem Ego zusammenhängen, und wie sie sich von diesen Gefühlen befreien könne.

Vorweg: Das Gefühl der Angst ist eine natürliche Schutzreaktion bei einer gegenwärtigen Bedrohung des Körpers. Angst wird jedoch zu einer krankhaften psychischen Störung, wenn der menschliche Geist die Vorstellung von ungeliebten Ereignissen in die Zukunft projiziert. Dann entsteht Angst durch eine Idee und nicht durch eine Wirklichkeit.

Die Statistik zeigt wie immer mehr Menschen von Pessimismus und Angstvorstellungen betroffen sind: Jeder fünfte Deutsche leidet in seinem Leben ein- oder mehrmals unter einer krankhaften, behandlungsbedürftigen Depression. In Deutschland sterben jährlich rund 12.000 Menschen durch Selbstmord. Statistisch gesehen, erhielt jeder!!! Berufstätige 2009 für acht Tage Psychopharmaka zur Behandlung von Depressionen.

 

Unser „Ich“ leidet unter der Identifikation mit seinem Körper. Für denjenigen, der glaubt, seine Wesenheit besteht nur aus seinem Körper mit den wechselhaften Gedanken und Gefühlen, haben Ängste vor Mangel, Krankheit und Tod durchaus eine Berechtigung.

Wenn man aus einem Flugzeug, in einer Höhe von ein paar Kilometern die Erde betrachtet, gibt es keine Menschen mehr. Wir sind nicht einmal als kleine Pünktchen wahrnehmbar. Aus der Perspektive des Weltalls ist auch unsere Erde nur ein Pünktchen. Unsere Sonne ist 1,3 Millionen mal größer als die Erde und diese Sonne selbst ist wieder nur ein winziger Stern in unserer Galaxis. Diese besteht aus ca. 200 Milliarden Sonnen, die zum Teil tausend mal größer sind als unsere Sonne. Unsere Sonne ist 25.000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis entfernt (Lichtgeschwindigkeit rund 300.000 km/Sekunde!). Obwohl sie mit 800 Tausend km/Stunde durch das Weltall rast (wir sind mit dabei!), braucht sie 225 Millionen Jahre für eine Runde um das Zentrum. Und unsere Galaxis ist wiederum nur eine von Milliarden anderen Galaxien im Weltraum. Und wir kennen von diesem Weltraum keinen Anfang und kein Ende.

Aus der Perspektive unseres beschränkten, analytischen Verstandes sind wir tatsächlich ein unbedeutendes, winziges, kurzlebiges Nichts in diesem unermesslichen Universum. Doch wir können auf den Wegen, welche die großen Weisheitslehrer unserer Menschheitsgeschichte aufzeigen, über diese Ego-Wahrnehmung hinausgehen und unsere reale Wesenheit erfahren. Wir können in eine Dimension jenseits des dualen Denkens von Leben und Tod, Fülle und Mangel, Freude und Leid vordringen. Das wird als „Befreiung“, „Erleuchtung“ oder auch „Heimkehr“ bezeichnet.

 

Wir sind in unserer Essenz identisch mit dem allumfassenden Sein. Der Verstand mit seinen Worten kann dieses Sein, das was wir sind, nicht erfassen. Er kann die Tiefe unseres Seins ebenso wenig begreifen wie die unermessliche Weite des Universums. Er kann nur beschreiben, was wir nicht sind! Dazu ist unser Denken fähig und das hilft uns weiter. Denn wenn wir uns im Bewusstsein von allem lösen, was wir nicht sind, so bleibt zwangsläufig das übrig, was wir wirklich sind. Das, was wir im Grunde unseres Wesens sind, kann man nicht „verstehen“, sondern nur „sein“. Der Weg der Befreiung erfolgt über die Lösung vom „Ego-Denken“. Dabei spielen Einkehr bei sich und  „Meditation“ eine wesentliche Rolle. Schließlich erreichen wir das Gebiet des „reinen Bewusstseins“. Darüber wird in weiteren „Erfolgslettern“ berichtet.

Unsere „Ego“-Vorstellung braucht eine Identifikation mit „Etwas“ um existieren zu können. Der „normale“ Mensch identifiziert sich mit seinem Körper, mit seiner Vergangenheit, mit seinen Erfolgen und Misserfolgen, mit seinem Besitz und seinen Beziehungen. Dabei vergleicht sich dieses „falsche Ich“ gerne mit anderen solchen „Ichs“ und möchte möglichst wichtiger, gescheiter, besser, schöner, reicher oder mächtiger sein. Gelingt das nicht, so sucht das Ego seine Besonderheit vielleicht indem es sich bedauert, weil es ungerecht behandelt wird oder weil es so krank und arm es ist oder indem es über die Schlechtigkeit der Welt lamentiert. So entstehen die vergänglichen Eigenschaften des Ego. Doch dieses Ego ist immer vom Verlust und Untergang des geliebten „Etwas“ und vom „Nicht-Erlangen“ des Ersehnten bedroht. Und das verursacht Angst.

Wir sind nicht das, womit wir uns gewöhnlich identifizieren. Die Identifikation mit dem Vergänglichen zerstört das Lebensglück. Das größte Glück bedeutet nicht dies oder jenes zu sein sondern „just be“ – einfach zu sein. Nichts Abgesondertes zu sein, bedeutet Alles (all-eins) zu sein. Damit löst sich unser „Pünktchen-Bewusstsein“ auf in einem wundersamen, allumfassenden Sein. In diesem Bewusstsein hat Angst keinen Platz mehr.

Kinder befinden sich großteils in diesem glückseligen Zustand der Hingabe an das Sein ohne an die Vergangenheit oder Zukunft zu denken. Deshalb heißt es in den Evangelien: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr das Reich Gottes nicht schauen.“

Der Mensch sucht sein Glück im Vergänglichen. Er übersieht dabei sein wahres „Selbst“, die Quelle der niemals endenden Glückseligkeit. Diese kann er nur in der Stille, in der Einkehr bei sich selbst finden. Wenn das Ego mit seiner Gier nach immer neuen Erfahrungen und Identifikationen schweigt, entsteht Raum für die selbstlose Liebe. Diese Liebe, jenseits von etwas „für sich haben wollen“, beendet alle Ängste und Sorgen.

Im 1. Johannesbrief lesen wir:

„Habt ihr noch Furcht, so seid ihr nicht vollkommen in der Liebe.“

 

Angst bedeutet „Enge“, das heißt im Denken begrenzt zu sein auf das „Körper-Ich“ mit seinem Verlangen. Die Formel für Angst lautet: „Angst = Ego“ und „Ego = Angst“.

In der unbegrenzten Liebe, lieben wir nicht nur das Angenehme, sondern die Menschen und die Ereignisse, wie sie sind. Damit gehen wir über das Ego-Verhalten mit seinem „Ich“ und „Mein“ hinaus. Darauf beziehen sich die Zeilen im Neuen Testament:

„Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dann erwarten?“ (Mt 5,46)

 

Mancher, der unter Ängsten leidet wird spätestens nun fragen: „Und was hilft mir das jetzt?“ „Was kann ich praktisch tun, um mich rasch von meinen Ängsten und Nöten zu befreien?“

Die verschiedenen Erkenntnis- und Yoga-Wege zeigen wie wir unseren Bewusstseinszustand derart verändern können, dass wir immer tiefer in unser wahres Sein eintauchen. Die Grundpfeiler dazu (freudige, grundlose Stimmung und Egobewusstsein) habe ich in den beiden letzten „Erfolgslettern“ ansatzweise beschrieben.

Davon ausgehend, gibt es zwei hervorragende spirituelle Übungen um das Ego und damit unsere Ängste aufzulösen:

   Achtsamkeit, Konzentration, Selbstbeobachtung und Meditation

   Annehmen was ist – totale Akzeptanz

 

Zu 1.: Lass deine Gedanken nicht unkontrolliert wie Affen in deinem Gehirn herumspringen. Werde zum Beobachter, zum neutralen Zeugen deines Innenlebens. Betrachte immer wieder – vor allem dann, wenn du dich unwohl fühlst - die Spiele deines Egos achtsam und liebevoll. Damit wirst du diesen Spielen ein friedliches Ende bereiten.

Angst löst sich auf als Hirngespinst wenn wir sie konsequent mit dem Licht unseres Bewusstseins erfassen, statt uns blind einem Gefühl hinzugeben, welches wir selbst, durch Projektion von negativen Vorstellungen auf die Zukunft, geschaffen haben.

Dieser Bewusstseinszustand der Innenschau entspricht der vierten Stufe der Yoga-Entwicklung, dem sogenannten „Mentalbewusstsein“ (Sanskrit pratyahara).

 

Zu 2.: Das Ego liebt angenehme Erfahrungen und will unerfreuliche Erlebnisse vermeiden. Das ist normal und entspricht dem Willen zur Erhaltung des eigenen Lebens. Zum Ego-Problem wird diese Veranlagung wenn sich eine Gier nach angenehmen Erlebnissen und die Angst vor Wiederholung von unangenehmen entwickelt. Der Fokus auf das, was wir nicht haben (Mangel) und auf das was wir befürchten, lässt uns leiden und zieht genau das an, was wir im Grunde nicht wollen.

 

Akzeptanz bedeutet die wunderbare Welt und das eigene Schicksal anzunehmen wie sie sind.

Akzeptieren heißt: aufhören zu jammern, sich zu bemitleiden, zu ärgern oder zu stressen. Wie schon gesagt: Es bedeutet nicht sich alles gefallen zu lassen, zu allem „Ja“ zu sagen. Wir können etwas liebevoll akzeptieren und sodann die nächsten sinnvollen Schritte setzen – ohne Zorn, Wut, Verzweiflung und Angst.

Innerer Widerstand gegen das, was ist, verursacht Konflikt mit dem Sein. Dieser Konflikt isoliert uns, macht uns unglücklich und krank. Neutral beobachten, was um uns und in uns vorgeht, schafft Erkenntnis und Harmonie.

Geh in die Stille! Grüble nicht! Gewinne Abstand vom Ego! Beobachte gelassen deine Angst, deine Probleme und umarme sie! So werden sie sich auflösen! So überschreitest du alle Begrenzungen.

„Darum scheint mir das, was ist, gut, es scheint mir Tod wie Leben, Sünde wie Heiligkeit, Klugheit wie Torheit, alles muß so sein, alles bedarf nur meiner Zustimmung, nur meiner Willigkeit, meines liebenden Einverständnisses, so ist es für mich gut, kann mir nie schaden“

aus „Siddhartha“ von Hermann Hesse

 

Mit herzlichem Gruß

Bernd Helge Fritsch