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Essay-Brief Februar /2 2012

Das Wunder bewusster Atmung

© Bernd Helge Fritsch

 

Schon lange vor unserer Zeitrechnung wurde die besondere Bedeutung des bewussten Atems für Wohlbefinden und spirituellen Fortschritt erkannt und gelehrt. In den Anapanasati sutras (Lehrsätze über den bewussten Atem) beschreibt Buddha vor rund 2500 Jahren, wie der Schüler bewusste Atmung praktizieren soll:

>>Lang einatmend wissen wir: „Ich atme lang ein“, lang ausatmend wissen wir: „Ich atme lang Aus“. Kurz einatmend wissen wir: „Ich atme kurz ein“, kurz ausatmend wissen wir: „Ich atme kurz Aus“…

Wir üben so: „Einatmend beruhige ich die körperlichen Gestaltungen.“ – „Ausatmend beruhige ich die körperlichen Gestaltungen.“

Wir üben so: „Einatmend erlebe ich Freude. Ausatmend erlebe ich Freude.“

„Einatmend erlebe ich Glückseligkeit. Ausatmend erlebe ich Glückseligkeit.“ usw.<<

 

Welchen Sinn macht die Beobachtung des Atems? Die wohltuende Wirkung des bewussten Atems kann jeder sofort bei sich feststellen, indem er einfach „jetzt“ seinen Atem aufmerksam beobachtet.

Wenn wir unsere Achtsamkeit, sowohl bei unseren täglichen Aktivitäten, als auch bei der Meditation, auf unseren Atem lenken, so unterbrechen wir den Strom der rastlosen Gedanken. Wir werden präsenter und gelangen in einen ruhigen, ausgeglichenen Seelenzustand. Das wirkt sich wiederum positiv auf den Rhythmus unseres Atems aus. Es fällt uns darauf hin leichter unsere Gedanken zu zähmen und unsere Wachheit zu intensivieren.

Du kannst deinen Atem einfach nur beobachten ohne ihn verändern zu wollen. Du kannst aber auch mit deinen Atem spielen, beispielsweise indem du ganz langsam so tief wie möglich ein und sodann ebenso langsam tief ausatmest. Du trittst so in eine engere Verbindung mit deinem Körper und förderst die Sauerstoff- und Energie-Zufuhr zu allen Zellen.

Unser Atem ist eng verbunden mit unseren Gefühlen. Wenn wir uns ärgern, aufgeregt oder nervös sind, verändert sich unser Atemrhythmus. Der Atem wird flacher, rascher und unruhiger. Hingegen bewegt sich unser Atem ruhig, tief und harmonisch, wenn wir entspannt und ausgeglichen sind. Durch Atembeobachtung beenden wir die Identifikation mit unseren jeweiligen Gefühlszustand. Wenn jemand von Emotionen, wie Wut, Ärger, Angst, Verzweiflung, geplagt wird, so stellt sich sofort Erleichterung ein, wenn er seine Aufmerksamkeit auf das Ein- und Ausatmen lenkt. Auch ein Überschwang an Gefühlen (Manie) kann so gut eingebremst werden.

In etlichen Sprachen hat das Wort „Atem“ die gleiche Bedeutung wie „Geist“. So zum Beispiel im englischen „spirit“, im griechischen „pneuma“, im lateinischen „spiritus“ und im hebräischen „ruach“. Das weist auf die besondere Verbindung des Ein- und Ausatmens mit einem geistig-spirituellen Vorgang hin. Atmen bedeutet für den Menschen nicht nur die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Stickstoff. Neben diesem physisch–chemischen Vorgang nehmen wir mit jedem Atemzug auch Lebenskraft in uns auf. Diese Kraft wird im Hinduismus „Prana“ (Lebenshauch, Leben) genannt. „Pranayama“ – die Kontrolle des Atems – nennt sich die vierte von acht Bewusstseinsstufen, wie sie im Raja-Yoga beschrieben werden.

Durch unkontrolliertes, zwanghaftes Denken verschwenden wir Prana. Wir atmen es zwar ein, können es jedoch gewissermaßen nicht behalten und verlieren es zum Großteil wieder beim Ausatmen. Durch Beobachtung des Atems stoppen wir unseren Gedankenfluß und damit den Prana-Verlust. Ungesteuertes Denken führt dazu, dass sich Menschen überwiegend energielos, müde fühlen und anfällig für Krankheiten sind. Auch der Alterungsprozeß wird durch diese Energievergeudung beschleunigt.

Durch Konzentration/Meditation lernen wir aus der gewöhnlichen Gedankenmühle auszusteigen, wir lösen uns von Gedanken-, Gefühls,- und Verhaltensmustern. So erlangen wir wieder ein Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit wie wir es in der Kindheit erleben durften. Wer regelmäßig meditiert, fühlt sich energiereicher und ermüdet nicht so rasch. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen auch, dass Menschen, die regelmäßig meditieren über mehr Gehirnzellen verfügen und weniger von Alzheimer und Demenz betroffen sind als die „Normalbürger“.

Mit dem bewussten Atmen verbinden wir uns mit der unendlichen Intelligenz unseres Körpers. Unser Körper ist eine wichtige Stütze um Präsenz zu verwirklichen. Diese Präsenz öffnet uns das Tor zur Essenz. Unter Essenz verstehen wir unseren unvergänglichen, mit „Licht, Freude und Liebe“ andeutungsweise beschreibbaren Wesenskern.

In der Meditation spielt die Atembeobachtung eine besondere Rolle. Atem-Beobachtung dient vorerst dazu, gegenwärtig zu bleiben und nicht mit den Gedanken in die Vergangenheit (Erinnerungen) oder in die Zukunft (Erwartungen, Wünsche, Sorgen) abzuschweifen. Der Atem ist ein ideales Objekt auf dem unsere Konzentration verweilen kann. Durch diese Konzentration werden die Geisteskräfte gestärkt und automatisch kann sich Ruhe und Harmonie im Seelen-Inneren entfalten.

Die höchsten Stufen der Meditation werden dann erreicht, wenn wir ohne Stütze durch Gedankeninhalte oder Bilder gegenwärtig sein können. Wenn alle Identifikationen mit Körper, Namen, Vergangenheit aufgehoben sind, begegnen wir der „großen Leere“, die letztlich das allumfassende „Eins-Sein“ eröffnet. Diese Leere wird zuweilen auch von Fortgeschrittenen als beunruhigend empfunden. In diesem Fall ermöglicht die Besinnung auf den eigenen Atem jederzeit den Rückzug auf sogenanntes „festes Land“.

Auch in den Evangelien finden wir einen Hinweis auf die „große Leere“ mit der „Jesus“ offenbar verbunden war. Er beschreibt diesen, seinen eigenen Zustand der „Nichtidentifikation“ mit den Worten:

„Die Füchse haben ihre Höhlen, und die Vögel unter dem Himmel haben ihre Nester; aber der Menschen- Sohn hat keine Stätte, wo er sein Haupt hin legen kann.“ (Lk. 9,57-58)

Er spricht diese Worte zu einer Person, die ihm als sein Jünger nachfolgen will. Doch nur wer zur „großen Leere“, zu einer tiefgreifenden Bewusstseins-Veränderung breit ist, vermag sich mit dem „Christus in sich“ zu verbinden.

In der indischen Mythologie wird das Ein- und Ausatmen des Schöpfergottes Vishnu geschildert. Vishnu ruht frei und gelassen in sich. Jedes Mal, wenn er einatmet tritt die Welt mit allen Galaxien und Lebewesen in Erscheinung. Atmet er aus, erlischt sie wieder und alles kehrt zurück ins vorgeburtliche Sein. Sein Atem-holen und wieder loslassen erfolgt mit großer Leichtigkeit, harmonisch, in einem glückseligen Zustand. So kann auch die Bewegung unseres Atems den Weltenrhythmus von Werden und Vergehen, von Geburt und Tod widerspiegeln. Das eine kann ohne das andere nicht sein. Wer nicht loslassen kann, kann nicht aufnehmen und umgekehrt wer nicht annehmen kann, wird auch nicht befreit.

Mit jedem Atemzug verbinden wir uns mit dem universellen Sein. Der Atem verbindet alle Wesen. Die Pflanzen, die Tiere, die Menschen alle teilen sich den Hauch des Lebens, den großen Spirit. Es gibt nur „ein“ Leben und das bist du, das bin ich. In der „Wirklichkeit“ gibt es keine Trennung, kein außen und innen, kein dein und mein, sondern nur eine wunderbare alles umfassende Symphonie.

 

Bernd Helge Fritsch