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Essay-Brief Februar 2014

Du bist nicht der Täter! (Gita VII.)  

© Bernd Helge Fritsch

 

„Du bist nicht der Handelnde!“

Schwer zu begreifen ist die Behauptung in der Bhagavad-Gita wonach wir zwar Werke verrichten, doch dabei nicht der „Handelnde“, also nicht der Täter sind. Normal erscheint es für uns selbstverständlich, dass „Ich“ mich zu „meinen“ Taten entscheide und für sie verantwortlich bin. Wir sind daher auch stolz auf das, was wir geleistet haben und leiden wenn wir uns einbilden versagt zu haben oder „schuldig“ zu sein.

In der Gita lesen wir dazu:

5: 7-9 Jene, die Herr ihrer Sinne und Gedanken sind und selbstlos ihre Werke verrichten, die das Göttliche in allen Wesen erkennen, sie werden durch ihre Werke nicht berührt.

Mit dem universellen Bewusstsein vereint, sind sie sich stets bewusst: „Ich bin nicht der Handelnde!“

Wenn ein solcher Mensch sieht, hört, riecht, geht, schläft und atmet, wenn er spricht, sich bewegt, so weiß er wohl: Es ist nur die im Körper wirkende Natur die mit den Sinnesobjekten beschäftigt ist.

13: 29-30 Wer erkennt, dass nicht sein wahres Ich im materiellen Leben wirkt, sondern die Natur (Prakriti), der sieht die Wahrheit.

 

Der große Philosoph Arthur Schopenhauer scheint annähernd derselben Meinung zu sein, wie der Autor der Gita. Er erklärt: „Der Mensch kann tun, was er will, doch er kann nicht wollen, was er will!“ Damit meint er, dass wir zwar unsere Willensimpulse, soweit es die Umstände zulassen, umsetzen können, doch wir sind grundsätzlich fremdbestimmt, bei dem was wir wollen. Wie ist das zu verstehen?

Es leuchtet uns ein, dass jemand der im Schlaf-Traum handelt nicht wirklich „der Täter“ ist. Denn:

a.) Es stellt sich nach dem Aufwachen heraus, dass der „Täter“ nur eine Illusion war und dass tatsächlich keine Taten vollbracht wurden.

b.) Außerdem geschieht das, was jemand im Traum tut, ohne sein bewusstes Wollen. Im Traum bestimmen Vorstellungen und Kräfte aus dem Unterbewusstsein das Geschehen.

 

Im Tagesbewusstsein haben wir es mit ähnlichen Verhältnissen zu tun:

a.) Wenn der Mensch aus seinem „Tagtraum“ (aus seinem normalen Bewusstsein) erwacht, erkennt er die Vergänglichkeit und Unwirklichkeit der „Ego-Person“, die sich einbildet, allein für sich, als ein von der übrigen Welt getrenntes Wesen, zu leben, zu entscheiden und zu handeln.

b.) Die Entscheidungen des Menschen werden von seiner Veranlagung, seiner Erziehung, seinen Gefühls- und Denkmustern bestimmt. Diese sind wiederum (allerdings für den gewöhnlichen Verstand unsichtbar) eingebettet in sein Karma und letztlich in den Ablauf des allumfassenden universellen Geschehens.

 

 

Dazu ein paar Beispiele:

 

Stets ist es eine unendliche Kette von Ursache und Wirkung, die die Handlungsweise und das Schicksal eines einzelnen Menschen und ebenso das Schicksal einer Familie, einer Volksgruppe und letztlich der ganzen Menschheit bestimmt. Unsichtbar dahinter wirkt das universelle Bewusstsein.

Jetzt könnte jemand einwenden: „Ist nicht ein starker, freier Wille am Werk, wenn beispielsweise ein Mensch sich gegen die Bevormundung seiner Eltern oder der Gesellschaft auflehnt?“ Ja, das kann auf einen starken Willen hinweisen, es bedeutet jedoch nicht ein Handeln aus freiem Willen. Warum rebelliert der eine Mensch gegen äußere Einflüsse und der andere nicht? Entscheiden darüber nicht wiederum die Veranlagung (Gene), der angeborene Charakter (Mut oder Ängstlichkeit), Erziehung, Vorbilder und der vorgegebene Schicksalsweg?

Zeigen Kinder im Trotzalter oder in der Pubertät einen „freien“ Willen, wenn sie gar nicht anderes können als rebellieren und protestieren? Dieser Widerstand der Kinder gegen ihre Umwelt zeigt das Wirken des universellen Bewusstseins. In ihm wiederholt und spiegelt sich die mentale Lösung der Menschheit aus der Einheit. Diese ist, wie an anderer Stelle schon ausgeführt, erforderlich zur Entwicklung der Individualität des Menschen.

„Krishna bestimmt die Regie“

In den folgenden Versen der Gita wird beschrieben wie alle weltlichen Phänomene aus Krishna (Gott, universelles Bewusstsein) hervorgehen. Das gilt auch für unsere persönlichen Eigenschaften, für unsere Stärken ebenso wie für unsere Täuschungen und den damit verbunden Irrwegen, Sorgen und Leiden:

10: 4-5 (Krishna:) Ich bin die Intelligenz und die Weisheit, bin Täuschung und Klarsicht, bin Geduld, Wahrheit und Selbstbeherrschung, bin innerer Frieden; Freude und Schmerz, Geburt und Tod, Furcht und Furchtlosigkeit.

 

Ich bin Gewalt und Gewaltlosigkeit, bin Gelassenheit, Zufriedenheit und Wohltätigkeit, bin Ruhm und Schmach. All diese Eigenschaften der Menschen sind aus mir geschaffen.

10: 6 Alle großen Weisen und die Urväter der Menschheit sind aus meinem Geist erschaffen.

 

Krishna, als Regisseur, lässt die äußere Welt als ein gewaltiges Spektakel erscheinen. Alles ist von seinem Bewusstsein durchdrungen. Er genießt dieses Theater mit seinen Schönheiten und Dramen, mit seinem ständigen Werden und Vergehen. Doch er identifiziert sich nicht damit und wird deshalb von diesem Geschehen nicht weiter berührt.

9:4 Das ganze Universum ist von mir in meiner unmanifestierten Form durchdrungen.

 

Alle Wesen wohnen in mir, doch ich wohne nicht in ihnen.

9:5 Obwohl alle Wesen in mir ihren Ursprung haben und in mir wohnen, werde ich von ihrem Denken und Wirken nicht berührt.

9: 8-9 Nach meinen Gesetzen und nach meinem Willen entsteht die gesamte Schöpfung und wird am Ende wieder aufgelöst.

 

Doch all dieses Wirken kann mich nicht binden. Ich bleibe immer der unbeteiligte Zuschauer.

Der Mensch ist Mitspieler im großen Bühnenstück der „Maya“. Doch sein Verstand durchschaut nicht das Spiel und so identifiziert er sich mit den Rollen, die er nach den Vorgaben der Regie (universelles Bewusstsein) zu spielen hat.

Der Weise identifiziert sich weder mit seinem Körper, noch mit seinem Mind und ebenso wenig mit den Rollen die das Schicksal ihm zuteilt. Wie Krishna verhält er sich gegenüber allem Geschehen als ein liebevoller und gelassener Zuschauer. Er beobachtet (mitfühlend aber nicht mitleidend) wie die Menschen von zwanghaften Ego-Gedanken beherrscht werden und welche Handlungen und Folgen daraus resultieren.

Nach den obigen Ausführungen ist es nicht gut um die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Menschen bestellt. Doch benötigt er diese wirklich? Beobachten wir unsere Verwandten, die Tiere und Pflanzen! Sorgt das Universum nicht in vollkommener Weise für sie, obwohl sie nicht in der Art denken können wie der Mensch? Wie steht es im Neuen Testament geschrieben:

Mat. 6, 25-27 Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? Und der Leib mehr denn die Kleidung?

 

Sehet an die Vögel unter dem Himmel: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?

Wer von euch vermag durch Sorgen seiner Lebenszeit auch nur eine Elle hinzuzufügen?

Luk. 12, 27 Betrachtet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich aber sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht schöner bekleidet gewesen ist als deren eine.

 

Das sind keine Kindermärchen! Wer den tieferen Sinn dieser Worte erkennt, geht über alle Sorgen des Egos hinaus.

„Freiheit und Verantwortung“

Ein Gefühl von großer Leichtigkeit und Befreiung stellt sich ein, wenn wir die Bedeutung des göttlichen Spiels, Lila genannt, durchschauen und erkennen, wer wir wirklich sind. Wenn wir uns nicht mit dem „Handelnden“ identifizieren, macht es keinen Sinn mehr sich Sorgen zu machen, ob wir die richtigen Entscheidungen treffen. Es macht keinen Sinn mehr sich wegen unserer „Fehler“ schuldig zu fühlen. Es macht keinen Sinn mehr andere Menschen zu verurteilen und mit ihnen im Unfrieden zu leben weil sie so oder so gehandelt haben.

Wer noch nicht verstanden hat und zu Sorgen neigt, könnte sich an dieser Stelle fragen: Gewährt die Idee „nicht der Handelnde zu sein“ einen Freibrief für böse Taten? Nein, im Gegenteil! Wer die in der Gita beschriebene Bewusstseinsstufe des Weisen erlangt hat, lebt in Harmonie mit dem Sein und vollbringt weder „gute“ noch „bösen“ Taten. Denn er geht über diese duale Denkweise hinaus. Wer hingegen noch in der mehr oder minder tiefen Unbewusstheit seines Egos lebt, wird weiterhin fremdgesteuert tun, wozu ihn seine Lebensumstände zwingen.

Für jene, denen ihre innere Freiheit viel bedeutet, sei an dieser Stelle versichert: Es gibt sehr wohl eine Freiheit und damit auch eine Verantwortung des Menschen. Doch diese Freiheit finden wir nicht auf der dualen Ebene, auf dem Feld der Illusionen (Maya). Freiheit besteht nicht darin, dass wir uns beliebig für das entscheiden können, was unserem Ego gefällt und vermeiden können was ihm missfällt.

Die wahre Freiheit kann kommt aus der Dimension des reinen Bewusstseins. Diese Dimension eröffnet uns die Freiheit zu entscheiden, ob wir die geistige Trennung von der Einheit, und damit unser Ego-Bewusstsein, aufrecht erhalten oder ins „Vaterhaus“ zurück kehren.

Allerdings ist der Zugang zu dieser Dimension, wie wir im Neuen Testament nachlesen können, für das „Kamel-Ego-Bewusstsein“ kleiner als ein „Nadelöhr“.

Wenn allerdings unser Ego-Verstand schweigt, werden wir so leicht, so heiter, so liebevoll und so transparent, dass kein Nadelöhr unsere Freiheit behindern kann. Alle Menschen erfahren immer wieder, in der Regel kaum bemerkt, lichte, stille Momente in welchen die Dimension des reinen Bewusstseins zu ihnen spricht. In diesen Augenblicken öffnet sich der Zugang zur wirklichen Freiheit, zu unserem tieferen Sein. Unsere Achtsamkeit entscheidet darüber, ob wir diese Chance ergreifen und uns von unserem Ego-Verstand lösen können.

Die non-dualen universellen Qualitäten von Freiheit, Liebe, Glückseligkeit kann man nicht erzeugen. Sie sind immer in uns vorhanden. Wir SIND das! Es genügt, aufzuhören irgendetwas zu wollen, mögen es Reichtümer, Erfolge, ein guter Mensch, Erleuchtung oder was immer sein. Es genügt stille zu werden, zu beobachten, was immer erscheint, ohne dabei unseren Verstand mit seinen Urteilen von „Mag ich! Mag ich nicht!“, „Begehre ich! Lehne ich ab!“ zu Wort kommen zu lassen.

Wu – Wei (wie es Laotse und die Taoisten nannten) genügt. Gegenwärtig sein und neutral beobachten was in mir und um mich ist, genügt. Wu-Wei bedeutet „geschehen lassen“ oder „Handeln im Nichthandeln“ oder „absichtslos, ohne Ego-Willen, das tun, was der Augenblick verlangt, ohne sich dabei einzubilden der Handelnde zu sein und ohne erwartungsvoll auf die Früchte der Handlungen zu schielen.“ Auf diese Weise verbinden wir uns mit dem allgegenwärtigen universellen (göttlichen) Bewusstsein.

Die Botschaft dieses Essaybriefes findet sich ganz schlicht und einfach zusammengefasst in dem alten Volks-Sprichwort:

Sei dir stets bewusst: „Der Mensch denkt – Gott lenkt!“

 

Mit herzlichem Gruß –

Bernd Helge Fritsch