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Essay-Brief August 2013

Die Essenz der Bhagavad-Gita – Teil I. Einleitung

© Bernd Helge Fritsch

 

Die Bhagavad-Gita ist in ihrer philosophischen und spirituellen Klarheit, sowie in ihrer, alle wichtigen Fragen der irdischen und göttlichen Bereiche umfassenden Darstellung, mit keiner sonstigen, uns aus alten Zeiten überlieferten Weisheitslehre vergleichbar. In ihr finden wir, wie in einer Nussschale vereinigt, alle hinduistischen Lehren, welche zur Zeit ihrer Entstehung von Bedeutung waren.

Die spirituellen Lehren der Gita sind naturgemäß eingebettet in die religiöse Kultur des alten Indien. In die Gita eingeflossen sind die Gedankenströmungen der Veden und Upanischaden, die Philosophie des Samkhya und die Unterweisungen des Yoga. Die Gita repräsentiert jedoch nicht nur umfassend den damaligen Ideenkreis des Hinduismus. Sie beinhaltet die Essenz aller Religionen. Diese Essenz ist nicht „hinduistisch“. Wahre „Religion“ hat kein Etikett, keinen Namen. Sie ist nicht jüdisch, christlich, islamistisch oder hinduistisch. Sie ist das, was den Menschen in seinem Innersten mit dem Geist des sichtbaren und unsichtbaren Universums verbindet!

Die wohl bekannteste Lobes-Hymne auf die Gita, aus dem westlichen Kulturkreis, stammt von dem großen Forscher und Staatsmann Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835): „Ich danke Gott, dass er mich solange hat leben lassen, um dieses Buch kennen zu lernen, das schönste, ja vielleicht das einzig wahrhaft philosophische Gedicht, das alle uns bekannten Literaturen aufzuweisen haben.“

In diesem Sinne wird die Gita von Eknath Easwaran (1910 – 1999, indischer Herkunft, Uni-Prof. in Kalifornien), der eine gute, moderne und relativ freie Übersetzung der Gita publiziert hat, als „das bedeutendste Geschenk Indiens an die Welt“ bezeichnet.

Dr. Sarvepalli Radhakrishnan (1888 - 1975), ehemals Professor für Religionen und Ethik an der Universität Oxford, der vielleicht bedeutendste Kommentator der Gita in der Neuzeit, Präsident Indiens von 1962 bis 1967 (bemerkenswert: ein spiritueller Weisheitslehrer an der Spitze eines riesigen Staates!), schreibt in der Einleitung zu seinem Kommentar:

„Durch Jahrhunderte hindurch haben Millionen Hindus in diesem Buche Trost gefunden, das in klaren und durchdringenden Worten die wesentlichen Grundsätze einer spirituellen Religion darlegt, frei von schlecht begründeten Tatsachen, unwissenschaftlichen Lehrsätzen oder gar willkürlichen Phantasien. In der langen Geschichte seiner geistigen Einflusskraft dient es auch heute noch allen jenen als Licht, welche aus der Tiefe seiner Weisheit Erleuchtung empfangen wollen...“

 

Welchen praktischen Nutzen dürfen wir uns vom Studium dieser Schrift, die neben der Bibel weltweit am meisten verbreitet ist, erwarten?

Natürlich Antworten auf die wichtigsten Menschheits-Fragen, die da sind:

 

Die Gita gewährt uns erstaunlich befriedigende, nicht nur höchst weisheitsvolle, sondern auch praktisch umsetzbare Erklärungen zu den wichtigsten Themen unseres Mensch-Seins. Dazu ist es allerdings notwendig, dass wir uns ernsthaft und energievoll mit ihrer Botschaft auseinander setzen. Das „Ziel der Ziele“ zu erreichen bedarf einer schrittweisen Entwicklung und einer seelisch-geistigen Energie-Leistung. Jeder Mensch trägt alle Voraussetzungen in sich, um dabei erfolgreich zu sein. Doch so, wie jemand nur dann ein guter Klavierspieler werden kann, wenn er fest entschlossen ist den Geist der Musik zu erfassen und entsprechende Fähigkeiten einzuüben, so wird man nur mit entsprechender Hingabe und Lernbereitschaft, die Gesetze des Lebens mit klarem Blick erfassen können und ein „Meister“ der Freude, Liebe und Freiheit werden. Meine Ausführungen in diesen Essay-Briefen mögen dabei als Anregung und Unterstützung dienen.

Die Gita, 18 Kapitel mit 700 Versen umfassend, wurde in Sanskrit, in der als „heilig“ angesehen altindischen Sprache, niedergeschrieben. Es gibt von ihr unzählige Übersetzungen in fast alle Sprachen der Welt. Allerdings ist es nicht einfach eine gute und flüssig lesbare deutsche Übersetzung zu finden. Die meisten deutschen Übersetzungen wurden erst vom Sanskrit ins Englische und sodann ins Deutsche übertragen. Empfehlenswert sind die Ausgaben der beiden oben erwähnten Übersetzer und Kommentatoren, E. Easwaran und S. Radhakrishnan, sowie die sehr poetische, schlichte und gut lesbare, in Versen gehaltene von K. O. Schmidt.

Der Autor der Bhagavad-Gita ist unbekannt. Nach der Legende soll es „Vyasa“, ein mythischer Weiser sein. Er gilt auch als der Verfasser des großen indischen Heldenepos Mahabharatha. In dieses Epos wurde die Bhagavad-Gita mit ihrer Rahmengeschichte eingefügt.

Diese Geschichte wird im ersten Kapitel der Gita wie folgt geschildert: Am Beginn einer großen Schlacht auf dem sogenannten „Kuru-Feld“ stehen sich die beiden Heere der „Pandava“ und „Kurus“ gegenüber. Der Streit geht um die Herrschaft im Königreich „Bharata“. Die Pandava werden angeführt vom Prinzen Ardjuna und seinen vier Brüdern. Sie gelten als die rechtmäßigen Thronfolger und werden als gütig, besonnen und gerecht beschrieben. Jedoch werden Sie von den mit ihnen verwandten Königssöhnen der Kurus, unter der Führung von Durjodhana, verfolgt. Durjodhana und seine Brüder, die als gierig und bösartig gelten, wollen die Macht, die sie zu jener Zeit unrechtmäßig ausübten, unbedingt behalten.

„Krishna“ wird geschildert, als der Lenker des Streitwagens mit dem der Königssohn und Krieger „Ardjuna“ in die unmittelbar bevorstehende Schlacht ziehen wird. Doch bald stellt sich heraus, dass Krishna kein gewöhnlicher Wagen-Lenker ist. Er offenbart sich als die höchste Gottheit, die in menschlicher Gestalt auf der Erde erschienen ist.

Als Ardjuna seinen Streitwagen, auf dem sich, wie schon gesagt, auch Krishna als Wagenlenker befindet, zwischen den beiden Schlachtreihen anhält und die kampfbereiten Männer auf beiden Seiten überblickt, erkennt er beiderseits eine große Anzahl von Verwandten und Freunden. In diesem Augenblick verzweifelt er an seiner Mission. Es überkommt ihn großes Mitleid, er beginnt zu zittern, „seine Haare sträuben sich“, es schwindelt ihm und er erklärt gegenüber Krishna:

Gita 1: 32-35 Welchen Nutzen haben für uns die Königsherrschaft, die Genüsse und Freuden des Lebens, wenn all die Lehrer, Väter, Söhne und Verwandten, die hier einander gegenüber stehen, ihr Leben aufgeben müssen. Selbst wenn sie mich töten würden, ich bin nicht bereit sie zu töten, nicht einmal wenn ich dafür alle Reichtümer des Himmels und der Erde erlangen würde.

 

Das Kapitel eins endet mit den Zeilen:

1: 47 Nachdem Ardjuna so gesprochen hatte, warf er Bogen und Pfeile weg und setzte sich von Schmerz überwältigt in dem Streitwagen nieder.

 

Die Rahmenhandlung der Gita und die Beschreibung der beiden Protagonisten Ardjuna und Krishna sind in erster Linie als Allegorien aufzufassen. Das ergibt sich aus etlichen Versen der Gita, auf die wir noch zurückkommen.

Ardjuna repräsentiert den „normalen“ Menschen in dem sich ein fortwährender Kampf zwischen den „bösen“ und „guten“ Seelen-Kräften ereignet. Die bösen Kräfte symbolisieren die selbstsüchtigen Interessen des Egos, die dem Menschen Lust und Sorgen verschaffen und ihn letztlich leiden lassen. Die guten Kräfte zeigen sich im Bemühen um Überwindung der Gebundenheit an den vergänglichen Körper und um Verwirklichung der wahren Berufung des Menschen.

Arjuna lehnt es vorerst ab seine „Freunde und Verwandten“, das heißt, sein Ego, seine liebgewonnenen Eitelkeiten, seine Leidenschaften, Ängste und Wünsche zu „töten“. Denn mit ihnen identifiziert er sich, sie bilden „sein Leben“.

Krishna, der „Lenker des Streitwagens“ – der verborgene „Lenker und Meister“ unseres Körpers und Geistes, repräsentiert die im tiefen Inneren eines jeden Menschen wirkende universelle (göttliche) Weisheit und Liebe. Diese Kraft, in anderen Kulturen als „Christus-“ oder „Buddha in uns“ genannt, weist uns, wenn wir bereit sind auf sie zu hören, den Weg zu unserer höchsten Bestimmung. Diese wird in den folgenden Essay-Briefen noch ausführlich erörtert.

„Krishna“ spielt in der hinduistischen Religion eine ähnliche Rolle wie „Jesus“ in der christlichen. Er gilt als die Inkarnation der höchsten Gottheit Vishnu. Nach der Legende wird Krishna ebenso wie Christus von einer Jungfrau (Devaki), geboren. Wie Christus wird er schon bei seiner Geburt von feindlich gesinnten Menschen, die um ihre Macht bangen, verfolgt um ihn zu töten. Krishna offenbart, nach den Erzählungen der Bhagavad-Gita, ebenso wie es viele Jahrhunderte später die Erzählungen der Evangelien über Jesus schildern, den Menschen seine Göttlichkeit und erklärt ihnen die Voraussetzungen um von irdischem Trübsal befreit, ewiges Leben zu erlangen.

Beide gelten bis heute als Inbegriff von Liebe, Mitgefühl und Frieden. Beide vollbrachten verschiedenste Wunder, heilten Krankheiten und konnten große Hingabe und Bereitschaft zur Nachfolge in anderen Menschen wecken. Zuletzt sterben Krishna und Christus eines gewaltsamen Todes: Christus am Kreuz, Krishna durch den Pfeil eines Jägers. Beide bilden den Ausgangspunkt religiöser Bewegungen.

Die Botschaft von Christus und Krishna ist die Gleiche:

Liebe deinen Nächsten und erkenne dein wahres göttliches Wesen,

in dem alle Lebewesen miteinander das „Eine“ sind.

 

Beide Weisheitslehrer verkünden „Das Himmelreich ist in dir!“

Luk. 17: 20-21 Da er aber gefragt ward von den Pharisäern: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht in äußerlicher Gestalt;

 

Man kann auch nicht sagen: Siehe hier! oder da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Gita 10: 20 Krishna: Ich bin das Selbst, welches in den Herzen aller Geschöpfe wohnt. Ich bin der Anfang, die Mitte und das Ende aller Wesen.

 

Die Parallelen zwischen den altindischen Erzählungen über „Krishna“  und der Geschichte des „Jesus-Christus“, wie diese in den vier Evangelien geschildert wird, sind unübersehbar. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wesentliche Teile der Jesus-Geschichte und Philosophie von den mehr als tausend Jahre älteren Erzählungen über Krishna übernommen und an die religiöse Kultur der Juden, sowie an die historische Situation im damaligen römisch-jüdischen Reich Judäa angepasst wurde. Dieser Umstand ändert natürlich nichts an dem Wert der Weisheits-Perlen, die wir in den Evangelien vorfinden.

Nach dieser kurzen Einführung in die Hintergründe und in die Rahmengeschichte der Gita, werden wir uns in den folgenden Essaybriefen mit ihren inspirierenden Lehren näher auseinander setzen.