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Essay-Brief November 2013

Die Gita – Teil IV. – Erwartungen bewirken Enttäuschung

© Bernd Helge Fritsch

 

Die Gita wäre nicht eine besondere Schrift, wenn wir aus ihr nicht wertvollen Nutzen für unser alltägliches Verhalten ziehen könnten. In diesem Essaybrief setzen wir uns mit dem Thema „Erwartungen“ auseinander.

Drängendes Verlangen und starke Erwartungen sind die Substanz aus der sich das ganze Elend des Egos zusammensetzt. Das zeigt sich besonders in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Wie sehr leiden die Menschen darunter, wenn sie sich von anderen nicht genügend geliebt, respektiert und anerkannt fühlen! Wie rasch entstehen Mißstimmungen wenn der andere unsere geheimen oder bekannten Erwartungen nicht erfüllt! Was tun wir nicht alles um gut vor anderen dazustehen, um einen Menschen für uns zu gewinnen!

Wir wissen nicht wer wir sind. Deshalb hoffen wir durch äußere Umstände durch nahe stehende Menschen oder gar durch den „Traumpartner“ Liebe und Erfüllung zu erlangen. Wir wissen nicht, dass wir im Grunde unseres Wesens Vollkommenheit, Liebe und Glückseligkeit sind. Wir identifizieren uns mit unserem vergänglichen Körper, mit unseren Denkmustern, mit unseren Wünschen und Erwartungen. Daraus resultiert unser von Ängsten und Verlangen zusammengesetztes Ego. Wir wollen, dass der Partner uns glücklich macht und fordern deshalb von ihm, dass er unseren Wünschen zur Verfügung steht. Hinter all diesem Streben steckt letztlich unser tiefes Bedürfnis nach Erfüllung und Befreiung, die wir allerdings nur in der Verwirklichung unseres „Selbst“ erfahren können.

Erwartungen beruhen auf Unzufriedenheit gegenüber dem was gegenwärtig ist. Statt in das ewige und beglückende „Hier und Jetzt“ einzutauchen, blicken wir sehnsuchtsvoll in die Zukunft in der Hoffnung, dass unsere Vorstellung - wie unser Partner, unsere Kinder, unser Arbeitsplatz, unsere Gesellschaft sein sollten - befriedigt wird. Damit sind Enttäuschungen vorprogrammiert.

Unsere Probleme beginnen, wenn wir unsere Lebenssituation und unsere Mitmenschen nicht so akzeptieren, wie sie sind. Damit sagen wir innerlich „NEIN“ statt „JA“ zum Sein. Ein dumpfes, uns im Hintergrund stets begleitendes Gefühl des Mangels, der inneren Zerrissenheit, des Unglücklich-Seins, der Enge, der Verhärtung ist damit verbunden. Manche resignieren und finden sich ab mit dieser Freudlosigkeit. Andere flüchten in Konsum, Drogen, oder in rastloses Tun.

Jede Erwartung behindert unsere Lebendigkeit, unsere Bereitschaft für Veränderung. Erwartungen bilden ein Gefängnis, welches uns unfrei macht, zu sehen, welche Fülle an Geschenken uns das Leben jederzeit anbietet.

In der Beziehung zu einem Baum auf der Wiese haben wir keine Erwartungen. Wir prüfen nicht, ob der Baum unsere Wünsche erfüllt. Wir fühlen uns frei und können die Schönheit des Augenblicks genießen. In der Beziehung zu Menschen, vor allem in der Beziehung zu unserem Partner sieht das anders aus. Die beliebtesten Ego-Partner-Denkmuster lauten:

 

Die meisten Menschen haben – bewusst oder unbewusst - gleich eine ganze Forderungs-Liste mit Wünschen und Erwartungen gegenüber ihrem Partner. Werden gewisse Punkte dieser Liste nicht erfüllt, wird üblicherweise mit dem klassischen Ego-Verhalten: mit Enttäuschung, Ärger, Klagen, Gekränktheit, Frustgefühl, Selbstzweifel reagiert. Es folgen Schuldzuweisungen, Streitigkeiten oder Reaktionen wie: Sich zurück ziehen, Sich bedauern, Liebesentzug, Sexverweigerung, Flucht in die Krankheit, die Suche nach einer anderen Beziehung...

Die Gita betont fast in jedem ihrer 18 Kapitel, dass wir ohne Anhänglichkeit und ohne Begierde unsere täglichen Pflichten erfüllen sollen. Die Botschaft der Gita, entspricht der Botschaft aller großen Weisheitslehren:

So lesen wir im zweiten Kapitel der Gita:

2: 48-49 Erfülle deine Pflichten frei von Anhänglichkeit. Bleib unberührt von Erfolg und Misserfolg. Solche Gelassenheit wird Yoga genannt.

 

Zu bedauern sind jene, die nur nach eigensüchtigen Erfolgen trachten. Suche Zuflucht im Geist, der mit dem Selbst verbunden ist.

Wenn wir auf unsere Erwartungen fixiert sind, ist damit die Angst verbunden, dass sie nicht erfüllt werden. Mit Ärger reagieren wir, wenn jemand nicht unseren Erwartungen entspricht, wenn Hindernisse auftauchen, welche die Erfüllung unserer Ego-Wünsche durchkreuzen könnten.

2: 55-57 Einer, der alle selbstsüchtigen Wünsche aufgegeben hat, der im Selbst seine Erfüllung findet, der gilt als verankert im reinen Bewusstsein.

 

Der wird als feststehend in seinem Geiste genannt, der weder durch Leiden erschüttert noch von Freuden mitgerissen wird und frei ist von Anhaftung, Furcht und Zorn.

Es gilt zu erkennen, dass Liebe, Weisheit und Glückseligkeit mit unserem ureigenen Wesen identisch sind und dass wir daher diese Schätze nicht im Außen erlangen und sodann „haben“ können. Wir müssen nichts tun oder erreichen um in der Liebe, in der Glückseligkeit zu sein. Doch unwissend, wie wir sind, öffnen wir uns nicht für das phantastische „Jetzt“, für das „Sein“ wie es ist, sondern erwarten uns Erfüllung unserer Sehnsüchte in der Zukunft. Könnten wir nur unser zwanghaftes und rastloses Denken, basierend auf unseren angeborenen und anerzogenen Mustern, wie die Welt und unser Partner sein sollten, beenden! Könnten wir einfach still den Augenblick genießen, so hätten wir alles erreicht.

3: 37-38 Leidenschaft entsteht aus selbstsüchtigem Begehren. Damit verbunden sind Zorn und sonstige Übel die den Menschen bedrohen.

 

Wie Rauch das Feuer umhüllt, wird Erkenntnis von Leidenschaft getrübt.

Alle Probleme und Sorgen lösen sich auf, wenn wir wirklich lieben – das heißt unsere Lebensumstände und unsere Mitmenschen annehmen können, wie sie sind. Im Alltag wird Liebe zumeist mit „Etwas für sich bekommen wollen“ verwechselt. Doch Wünschen, Hoffen, Verlangen, Erwarten vertreiben die Liebe.

In der absichtslosen Hingabe an die Weite und Schönheit einer Landschaft, an die Farben und den Duft einer Blume, an den spielerischen Flug eines Schmetterlings gelingt es uns – wenigstens für kurze Augenblicke – nichts zu denken, nichts zu wünschen, nichts zu erwarten. Dann öffnet sich unser Innerstes, die Liebe, die wir sind. Jeder kennt diese Augenblicke der Stille, des inneren Friedens, der wunderbaren Wunschlosigkeit.

2: 64 Wenn du frei bist von Anhaftung und Abneigung, enden alle Sorgen und tiefer innerer Frieden stellt sich ein.

2:70-71 So wie der große Ozean von den ständig einfließenden Gewässern nicht bewegt wird, so ruhig verbleibt, wer die Flut von Wünschen und Ablehnung unberührt und gelassen beobachtet.

3: 17 Jene, die das Selbst gefunden haben, sind immer zufrieden. Sie begehren keine Erfüllung in der äußeren Welt. Sie haben durch Handlungen, die vollbracht oder nicht vollbracht sind, nichts mehr zu gewinnen.

 

Wer in sich ruht wird nicht gefühllos gegenüber äußeren Ereignissen. Doch die Schmerzen und das Leid in der Welt sind für ihn ohne „Stachel“. Er kann sich unbeschwert und frei an Menschen und Ereignissen erfreuen, den er weiß, dass seine Freude nicht von ihnen abhängig ist. Er verliert sich nicht in Wünschen und Abneigungen sondern genießt die Rolle des gelassenen Beobachters.

Gegen Wünsche und Ziele ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Sie sind unvermeidlich solange wir mit unserem Körper verbunden sind. Sie sind wesentlich um unserer Individualität und den mit ihr verbundenen Fähigkeiten und Talenten Ausdruck zu verleihen. Doch es ist ein Unterschied ob wir spielerisch und unbeschwert, wie ein Kind, unsere Freude am Tun offenbaren oder ob unser Streben aus einer Flucht vor dem „Jetzt“, aus einem Widerstand gegen das was ist, hervorgeht.

Planvolles, kreatives Handeln ist selbst für die allumfassende Gottheit (Krishna) ebenso für das Individuum (individualisierte Gottheit) eine Notwendigkeit.

3: 15-16 Selbstloses Handeln hat in Brahman, dem Universellen Gott seinen Ursprung.

 

Wer nicht ebenfalls in diesem Sinne wirkt, der vergeudet sein Leben.

3: 22-24 Für mich (Krishna) gibt es im ganzen Universum nichts zu gewinnen und dennoch bin ich unablässig tätig. Wenn ich aufhören würde zu handeln, würde diese Welt ins Chaos und in Vernichtung stürzen.

 

Ziele zu haben und sie anzustreben schafft keine Probleme, vorausgesetzt wir wissen, wer wir sind und woher Freude, Liebe und Weisheit wirklich kommen.

Es ist wunderschön kreativ zu sein, an der ständigen Neuschöpfung und Veränderung unserer Welt teilzuhaben. Wenn dieses Schaffen getragen wird, von der Stille des Herzens, von der Zufriedenheit und der Harmonie mit dem Sein, dann offenbaren sich in unserem Handeln Schönheit, Weisheit und Liebe. Hingegen wirkt Handeln, geboren aus brennendem Verlangen, aus Unzufriedenheit, aus  Gier, Ärger, Angst oder sonstiger Verblendung zerstörerisch.

Auf Dauer wird dich kein Erreichen eines Ziels glücklich machen. Dauerhaftes Glück kann nicht in Dingen, die sich verändern und vergänglich sind gefunden werden. Doch wer auf seinem Weg stets mit der inneren Glückseligkeit verbunden ist und daher im Zustand des Glücklich-Seins seine Ziele erreicht oder auch nicht erreicht, wird nicht von Enttäuschung bedroht.

Letztlich werden alle Wünsche im „Eins-Sein mit sich selbst“ erfüllt. Im Eins-Sein mit dem Selbst verwirklichen wir das Eins-Sein mit der Welt. Dieser köstliche Zustand der Wunschlosigkeit, der Freiheit von Erwartungen, stellt sich von alleine, ganz natürlich ein, wenn wir die Geschehnisse in unserem Innen und im Außen aus einer höheren Warte, ohne sie unnötig zu bewerten, neutral und liebevoll beobachten. Gelingt uns dies, so erübrigen sich alle Wünsche und Erwartungen gegenüber Menschen und Ereignissen. Wir sind dann frei unter den unzähligen phantastischen Möglichkeiten des Lebens jene Auswahl zu treffen die unserer vom Selbst bestimmten Individualität entspricht.