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Essay-Brief Dezember 2013

„Weihnacht – Die Geburt des Christus in dir“ (Gita V.)

© Bernd Helge Fritsch

 

Wie (fast) jeder weiß, wird das Weihnachtsfest von den Christen zur Erinnerung an die Geburt des Jesus gefeiert. Dieses Fest gibt vorzüglich dazu Anlaß, sich gegenseitig zu beschenken, viel einzukaufen und viel zu konsumieren. Selten, aber doch, dient es auch zur Besinnung auf eine „besondere“ Welt, die jenseits der erscheinenden existieren soll. Als Botschafter dieser Welt wird Jesus Christus angesehen.

Wie der christliche Mystiker Angelus Silesius (1624 bis 1677) in seinen Sinnsprüchen zum Ausdruck bringt, nützt es dem Menschen gar nichts, wenn er sich bloß erinnert, dass vor vielen Jahren ein „Christus“ zu Bethlehem geboren wurde:

Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geborn und nicht in dir, du bleibst doch ewiglich verlorn.

aus dem „Cherubinischen Wandersmann“

 

In der Symbolsprache der Evangelien repräsentiert „Christus“ das gottgleiche, unbegrenzte und unsterbliche „Selbst“, unseren Wesenskern, das, was wir wirklich sind. Diesen „Christus“ gilt es in uns wach zu rufen. Alle Namen für dieses „Selbst“ sind nur irreführend. Denn dieses „Selbst“ existiert jenseits der Dualitäten von „Raum und Zeit“, von „Gut und Böse“, von „Name und Form“. Deshalb ist es auch egal ob wir es „Selbst“, „Buddha“, „Krishna“, „Gott“, „Allah“, „JHWH“ oder sonst wie nennen.

Die Bhagavad-Gita wiederholt immer wieder, dass alle Wesen und alles Geschehen im Universum nur Ausdruck der allumfassenden Gottheit, des „Selbst“ sind. Im Einklang mit der spirituellen Erfahrung der alten indischen, buddhistischen und taoistischen Weisen, der christlichen, islamischen und jüdischen Mystiker und vieler anderer die hinter die Kulissen der materiellen Erscheinungen blicken konnten, erklärt sie, dass im Grunde nur das „Eine“ existiert. Dieses „Selbst“ schafft und durchdringt alles Sein.

Gita 2: 24 Das Selbst ist immerwährend und alldurchdringend. Es kann niemals vernichtet werden. Es wird als unsichtbar, unbegreiflich und unveränderlich beschrieben.

5: 19 Gott ist ohne Fehler, stets vollkommen. Er ist das EINE in allem...

6: 29 Der Yogi sieht das Selbst in allen Wesen und jedes Wesen im Selbst. Für ihn ist alles Sein von göttlicher Liebe und Weisheit durchdrungen.

 

In diesem Sinne erklärt Shankara (788 bis 820 n.Chr.), der große indische Weisheitslehrer:

 „Gott allein durchschreitet die Welt“

 

Für die meisten Menschen, die nur die Vielheit wahrnehmen und sich persönlich getrennt von der übrigen Welt erachten, ist diese Weisheit kaum zu verstehen und noch weniger zu realisieren. Auch Ardjuna hat mit dieser Vorstellung Schwierigkeiten. Deshalb wendet Krishna für ihn eine besondere Lehr-Methode an.

Im Kapitel elf der Gita versetzt er Ardjuna in einen geistigen Ausnahmezustand. Er verleiht ihm „übernatürliche Augen“, mit welchen er die alles umfassende, allmächtige, zeitlose, alles gebärende, alles vernichtende und gewöhnlich unbeschreibbare und nicht schaubare Gottheit in dramatischen Bildern wahrzunehmen vermag:

11: 5 Erblicke denn, Arjuna, meine tausendfältigen göttlichen Gestalten.

11:7-8 Erblicke das ganze Universum und was sonst du zu sehen wünscht, hier in meiner Wesenheit vereinigt.

Doch mit deinen menschlichen Augen, kannst du mich nicht erblicken. Deshalb will ich dir ein geistiges Auge eröffnen. So kannst du meine transzendente Natur erfahren.

11: 13 Da schaute Ardjuna das ganze Universum in seiner unendlichen Vielfalt in dem Einen, in der universalen Form des Herrn.

 

Der Mensch wird bald nach seiner Geburt in eine duale Vorstellungswelt, in die „ZWEI“ hineingeworfen. Er erkennt mit seinen Wahrnehmungsorganen und mit seiner Art zu denken nur die voneinander getrennten Erscheinungen. Was er nicht wahrnimmt ist die „EINS“, aus der alles, was in unserer Welt entsteht und vergeht, erschaffen getragen und umfangen wird.

Dazu sei nochmals (siehe Essaybrief Bhg. Gita II.), aus der Gita zitiert:

7: 27 Die Menschen sind in Täuschung geboren. Sie sind verblendet von dualen Vorstellungen und überwältigt von ihren Begierden und Abneigungen.

 

Die ZWEI-heit entsteht für uns, wenn wir die Welt, wie sie sich unseren Sinnen darstellt, isoliert, ohne das universelle Bewusstsein (unser „Selbst“ Gott) dahinter, welches alles verursacht und bewegt, betrachten.

Die sich ständig verändernden Dinge und Wesen sind Manifestationen einer geistigen Welt. Alle Erscheinungen sind vergänglich, sie kommen und gehen. Sie entsprechen einem Schattenspiel des alles umfassenden universellen Bewusstseins, Selbst, Brahman, Krishna oder Gott genannt. Weil wir nur das Spiel und nicht den dahinter wirkenden Geist erblicken, messen wir den vergänglichen Dingen viel mehr Wert und Bedeutung zu, als sie tatsächlich haben.

So erklärt uns die Gita:

2: 16 Was vergänglich ist, hat keine Wirklichkeit. Das Wirkliche hört niemals auf zu sein. Wer diese beiden zu unterscheiden vermag, hat Weisheit erlangt...

 

Der Mensch leidet unter Mangel, weil er das „Wirkliche“ nicht wahrnimmt. Er versucht vergeblich seinen Durst nach Erfüllung in der äußeren Welt zu befriedigen und er fürchtet sich vor Verlust, Alter, Krankheit und Tod.

Die „Zwei“ wird von den äußeren Erscheinungen, wie wir sie wahrnehmen, gebildet. Wie die Gita schildert, geht auch die Täuschung, welche die „Zwei“ entstehen lässt, auf „Krishnas“ Wirken zurück. Er hat dieses Schauspiel in Szene gesetzt. Doch er ist sich des Spiels bewusst und identifiziert sich nicht mit ihm. Der Mensch jedoch hält das Spiel der Formen, seinen Körper, den Mind mit seinen Inhalten und sein Umfeld für die alleinige Wirklichkeit. Er identifiziert sich mit ihnen und muss deshalb leiden.

7: 5 Erkenne neben meiner niederen Natur auch meine höhere. Erkenne mein Wesen welches hinter allen Erscheinungen die tragende Kraft bildet.

7: 12 Die Kräfte der Natur, Tugend (sattva), Leidenschaft (rajas) und Unwissenheit (tamas), stammen aus meiner Energie. Sie sind von mir und in mir, doch ich bin frei von Ihnen.

 

(Die Gunas – sattva, rajas und tamas und ihr Wirken wurden im Essaybrief Bhg. Gita III. näher beschrieben)

Die „ZWEI“, die eine Illusion ist, weil nichts und niemand der „Ganzheit“ (Gott) entrinnen kann, geht zurück auf eine grundlegende Veränderung, die sich im Mind (Denken, Fühlen, Wollen) der Menschheit in den Anfängen ihrer Evolution vollzogen hat. Diese Veränderung steht im Zusammenhang mit der Entfaltung der Individualität, der Einzigartigkeit eines jeden Menschen.

Die Täuschung, die fortlaufend durch unsere beschränkten Möglichkeiten der sinnlichen Wahrnehmung in Verbindung mit unserer Denkart entsteht, bewirkt unsere mentale Trennung von der „Eins“. Für diese Trennung haben sich die Menschen, wie die Genesis (1.Mose Kap. 2, 17 und Kap. 3, 6 ff.) schildert, vor langer Zeit entschieden. Denn sie wollten ein eigenes „Gott-Sein“ erlangen. Sie wollten nicht länger wie die Tiere, Pflanzen und die leblose Natur ohne freies, eigenständiges Bewusstsein „nur“ „Eins“ mit Gott sein.

Die Trennung ermöglichte die Entfaltung der Individualität (Einmaligkeit) eines jeden Menschen. Wie schon erwähnt ist der Preis, den die Menschen dafür zu bezahlen hatten und noch heute bezahlen, das Leben in der Dualität mit seinen Freuden und Leiden, mit seinen Täuschungen, mit den Ängsten des Egos, mit dem Karma welches jeder Mensch ertragen muss.

Dies gilt solange, wie wir in unserem Geist den Glauben an die Trennung von der „Eins“ aufrecht erhalten. Erst wenn wir unsere Individualität aus der eingebildeten „Zweiheit“ in die „Einheit“ zurückführen, erst wenn der „verlorene Sohn“ (Lukas 15, 11 ff.) in das „Vaterhaus“ zurückkehrt, sind wir befreit von dem Auf und Ab der weltlichen Freuden und Leiden. Damit zugleich sind wir erlöst von unserem Karma.

Der „freie, selbstverwirklichte Mensch“ ist, so paradox es klingt, selbständig, frei und doch eins mit allem Sein. Er ist eine individuelle Gottheit in der allumfassenden Gottheit. Nur jenseits des dualen Verstandes ist dies begreifbar. So wie es der Mystiker Angelus Silesius schauen konnte:

Soll ich mein letztes End und ersten Anfang finden,

so muss ich mich in Gott und Gott in mir ergründenund werden das,

was Er: Ich muss ein Schein im Schein,

ich muss ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte sein.

 

Der Individualisierungsprozeß des Menschen, die Schaffung von Bewusstsein, welches sich selbst reflektieren kann, bedeutet einen gewaltigen Evolutionssprung. Aus der „Eins“ ist für das Bewusstsein der Menschen die „Zwei“ hervorgegangen, die mit eigener Kraft die „Eins“ wieder verwirklichen kann.

Entgegen allen Dogmen kann und wird kein Jesus oder sonst jemand die „Selbstverwirklichung“ für uns vollziehen. Wir müssen selbst damit beginnen die Spiele unseres Mind, welche die „Zwei“ bewirkt haben, zu beobachten, um sie damit langsam in den Griff zu bekommen.

6: 5 Der Mensch muss sich selbst befreien. Sein Geist (Mind) ist dabei sein größter Freund und zugleich sein ärgster Feind.

Der Geist wird für den zum Freund, der ihn beherrschen kann. Macht sein Geist, was er will, so wird er dem Menschen zum Feind

 

Unser Innerstes war und ist stets mit der „Eins“ verbunden und wird ewig mit ihr verbunden sein. Es ist daher kein spezielles Tun unserseits notwendig um mit dem „Selbst“ (Brahman, Gott) auch im eigenen „Gewahr-Sein“ wieder „Eins“ zu sein. Wir müssen nur die Hindernisse beseitigen, welche allein in unserem Mind existieren. Wir finden dazu zahlreiche Anregungen in der Gita.

Die Befreiung erfolgt, wenn wir das, was zu unserer dualen Sicht geführt hat, wieder auflösen. Wir müssen logischer Weise alle Denk- Gefühls- und Willens-Muster, die die „Zweiheit“ hervorrufen, beenden, um zur „Einheit“ zu gelangen.

 

Im Folgenden werden in komprimierter Form die wesentlichen Vorraussetzungen für die Auflösung der „Zwei“, für „Die Geburt des Christus in uns“ beschrieben:

Die „große Täuschung“, basiert grundsätzlich auf der Identifikation des Menschen mit seinem Körper, seinem Mind und seinen Handlungen. Es ist daher notwendig zu erkennen wer wir wirklich sind.

14: 19 Wenn du erkennst, dass alle Tätigkeiten und Unterlassungen von den Erscheinungsweisen der Natur (Gunas) bestimmt sind und dich nicht mehr mit ihnen identifizierst, dann wirst du mit mir vereinigt.

 

Wenn die Trennung von der „Eins“ primär auf unseren Ego-Willen, auf unsere Begierden und Abneigungen (siehe Gita 7: 27), zurück zu führen ist, so gilt es die Regungen des Ego-Willens achtsam zu beobachten, zu erkennen und sich damit von ihnen zu befreien.

7: 28 Jene aber, die ihren Ego-Willen abgelegt haben und sich von ihren dualen Täuschungen befreien, sind in der Lage mich in ihr Bewusstsein aufzunehmen.

 

4: 22-23 Der lebt in Freiheit, der zufrieden ist mit dem, was ihm das Schicksal bringt. Wer über duale Gegensätze erhaben ist (Lust und Leid), wer nichts begehrt und wer im Erfolg und Mißerfolg derselbe bleibt, wird von seinen Handlungen nicht gebunden.

 

Wer erkennt, dass alle Erscheinungen „vergänglich“ und daher „unwirklich“ sind (siehe oben Gita 2: 16) bleibt gelassen, erfüllt seine Pflichten und hängt nicht mehr an Erfolg und Misserfolg.

2: 48 Erfülle deine Pflichten frei von Anhänglichkeit. Bleib unberührt von Erfolg und Mißerfolg. Solche Gelassenheit wird Yoga genannt.

 

Die Aufgabe des Ego-Willens und selbstloses Dienen sind Voraussetzungen um erfolgreich den Pfad der Meditation zu gehen. In der Meditation schweigen die rastlosen Gedanken, die mit unseren Wünschen und Sorgen verbunden sind. Meditation bedeutet stille werden und so einen entsprechenden Raum für die Offenbarung des Selbst schaffen.

6: 3 Um Yoga (Klarheit des Geistes) zu erreichen ist selbstloses Dienen erforderlich. Ist Yoga erreicht, so kannst du den Pfad der Meditation, den Pfad der Stille und des Friedens beschreiten.

 

Die Innenschau, die Beobachtung unserer Gedanken und Gefühle, bildet die Basis für Selbst- und Welt-Erkenntnis. Erkennen wir die „Eins“, so fällt es uns leicht von unserem Ego loszulassen. Lassen wir vom Ego los, wird innere Stille ermöglicht. Innere Stille ermöglicht Meditation. Meditation verbindet uns mit der „Eins“. So dreht sich in unserem Bewusstsein die Spirale von Erkenntnis, Zufriedenheit, Dankbarkeit, liebevollem Dienen und Meditation immer weiter und rascher nach oben. Damit, Hand in Hand, verwirklichen wir immer tiefergehend das Ziel aller Ziele, die „Geburt“ des „Christus“, von „sat, chit, ananda“ (Weisheit, Liebe und Glückseligkeit) in uns.

 

Herzliche Grüße

Bernd

 

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