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Essay-Brief November 2011

Yoga Philosophie - Ego-Bewusstsein

© Bernd Helge Fritsch

 

Im letzten Erfolgsletter wurden die beiden Grundbedingungen für ein höheres, freieres und glücklicheres Bewusstsein angesprochen. Es sind dies

  1. die gewollte Herstellung einer freudigen Grundstimmung in uns [Stimmungs-Bewusstsein - niyama (Sanskrit)] und
  2. die Erkenntnis und Auflösung der Beschränkungen durch unser Ego [Ego-Bewusstsein - yama (Sanskrit)].

 

Sie entsprechen den ersten beiden Stufen der insgesamt sieben Bewusstseins-Stufen wie sie in der altindischen Yoga-Philosophie beschrieben werden. Natürlich dient diese Einteilung in Stufen nur dazu, mit dem Verstand leichter den Weg zu begreifen, der letztlich ein „Nicht-Weg“ ist. Dieser Weg führt in eine Dimension jenseits unserer dualen Begriffswelt, die man daher nicht „er-Denken“ sondern nur „er-Leben“ kann.

Wir haben uns bereits mit der „grundlosen freudigen Stimmung“ auseinander gesetzt. Dieses Mal wollen wir uns näher mit dem „Ego-Bewusstsein“ beschäftigen.

Alles Leiden entspringt aus verkehrtem (Ego-) Denken. Wenn wir uns beispielsweise ärgern, in Wut kommen, so leiden wir, weil wir Ereignisse oder Menschen nicht annehmen können, wie sie sind. Ärger erwächst aus einem vorprogrammierten Denk- und Gefühls-Muster. Unser Ego fühlt sich bedroht, verletzt, beleidigt, eingeschränkt und reagiert entsprechend. Es lehnt sich auf gegen das, was ist. Es lehnt sich auf gegen das „Sein“. Dieser innere Widerstand und der damit verbundene Ärger sind völlig sinnlos, denn „was ist, das ist“. Wir schaden uns mit unserem Verletzt- und Verärgert-Sein nur selbst. Doch die meisten Menschen haben keine Macht über ihre Stimmungen, über ihr Ego, über ihre Sorgen, über ihren Ärger. Herrschaft über den eigenen Mind (Denken, Fühlen, Wollen) ist daher eines der großen Ziele des Bewusstseins- (Yoga-) Weges.

Erst wenn wir unsere Emotionen in den Griff bekommen, klärt sich unsere zuvor getrübte Sicht auf uns selbst und auf die Welt. Nach und nach erkennen wir, dass das, was wir bislang denken und glauben, meist nicht wirklich dem entspricht, „was ist“. Wir erkennen, dass „die Welt“, wie wir sie gewöhnlich wahrnehmen, nur unsere Projektionen und subjektiven Glaubensmuster wiederspiegelt. Nach und nach gewinnen wir Einblick in die Einheit und Göttlichkeit der Welt und durchschauen liebevoll die Ego-Spiele in uns und in den Menschen unserer Umgebung.

Das Gegenteil von einer Ego-Reaktion mit Ärger und Wut wäre Akzeptanz. Das bedeutet, das Sein mit Hingabe annehmen, wie es im Augenblick ist. Das heißt: nicht sich aufregen, sich ärgern, leiden - keinen inneren Widerstand aufbauen.

Akzeptanz besagt nicht, sich alles gefallen zu lassen, sondern – falls erforderlich -angemessen ohne Zorn und Wut, ohne sich zu bedauern, gelassen und mit Übersicht die nötigen Schritte zu setzen, die die Situation erfordert. Wobei sehr oft gar keine Maßnahmen notwendig sind. Es genügt meist neutral zu beobachten, was ist und die (vermeidlichen) Probleme lösen sich auf wie Morgen-Nebel in der Sonne.

Reaktionen aus Ärger, Zorn, Beleidigt-Sein führen hingegen nur zu Aufregung, neuem Ärger, Überreaktion, Streit, zu Angst, zu unbedachten Handlungen etc.

Ja, ich weiß! - Weil ich es bei meinen Vorträgen und in meinen Seminaren immer wieder zu hören bekomme: „Akzeptanz“, „Liebevoll annehmen was ist“ - „ist aber so schwer“, „ist unzumutbar!“ Doch es ist die einzige Möglichkeit sein Ego zu überwinden und sich damit vom Leid zu befreien. Es ist eine der besten spirituellen Übungen, die es gibt. Ich erinnere an die Worte im Neuen Testament: „Liebet eure Feinde!“ – wobei „Feinde“ nur ein Symbol für all das ist, was wir emotional ablehnen und bekämpfen. Und weiter lesen wir: „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welcher Lohn gebührt euch dann?“ Den reichlichen Lohn, die Fülle des Daseins erfahren wir dann, wenn wir über unsere Programmierungen, über unser „Mein-Denken“, über Begehren und Ablehnen hinausgehen.

Wie schon gesagt, in das eigene Ego-Verhalten verstrickt zu sein, bedeutet Leiden. Dauerhafte Freude, Liebe, dauerhafter innerer Frieden, Glückseligkeit entspringen aus der Befreiung von unserem Ego-Denken und Verhalten.

Dazu höre ich immer wieder den Einwand: „Es gibt so viel Leid in der Welt! Wie kann man da restlos glücklich sein!“ oder „Und was ist mit, Schmerzen, Krankheit und Tod? Die sind doch unvermeidbar!“

Es gilt zwischen Schmerz und Leiden unterscheiden. Schmerzen, Krankheit und Tod müssen nicht in Leid münden. Im Gegenteil! Wahres Mensch-Sein bedeutet Schmerz und Tod zu überwinden. Das können uns fortgeschrittene Menschen lehren, die zwar körperliche Behinderungen, Schmerzen und schwere Schicksalsschläge haben, doch sich damit nicht identifizieren. Es sind Menschen, die auch angesichts des eigenen Todes lächeln können. Sie gehen über die Identifikation mit dem Körper, mit dem Geschehen in dieser Welt, über ein kleinliches Ego-Denken hinaus. Sie nehmen wahr die Einheit und Sinnhaftigkeit von Leben und Tod. Sie unterscheiden das Vergängliche vom Unvergänglichen.

Leid entsteht wenn wir gegenüber Schmerzen, Verlust und Tod (sie sind ebenfalls das, was sie sind) inneren Widerstand leisten, uns bedauern, unnötig darüber nachdenken. Wenn wir fähig sind, total gegenwärtig zu sein, gibt es kein Leid. Wie wir dazu kommen, beschreibt der Yoga-Weg mit den sieben Bewusstseins-Stufen, mit dem wir uns in den folgenden „Erfolgslettern“ weiter auseinander setzten.

Wenn wir eine Kathedrale, ein wunderbares, hohes und schlankes Gebäude des Bewusstseins errichten wollen, so benötigen wir eine Balance der statischen Kräfte. Wir benötigen ein Skelett welches diesem Gebäude Stabilität und Sicherheit verleiht. Dann wird dieses Gebäude allen Stürmen des Lebens wiederstehen. Die innere Stabilität, die wir für unseren Weg benötigen, ergibt sich aus der ständigen, wachsamen Beobachtung der Regungen unseres Egos. Dieses Ego bringt uns immer wieder in Turbulenzen. Und je weiter wir in unserer Bewusstseins-Entfaltung fortschreiten, desto dramatischer wird sich ein unkontrolliertes Ego-Denken auswirken.

 

Unser Ego ist sehr mächtig, raffiniert und schwer zu durchschauen. Denn es erscheint immer wieder in neuen Verkleidungen. Dazu ein paar Beispiele:

 

 

Es ist ganz einfach auf die eigenen Ego-Spiele aufmerksam zu werden. Jedes Mal wenn wir schlechte Gefühle haben, unzufrieden sind, leiden, dann ist die Ursache in den Denk- und Gefühlsmustern unseres Egos zu finden. Wenn wir uns dagegen fröhlich, heiter und gelassen fühlen und das Sein lieben, wie es gerade ist, dann spielt das Ego keine Streiche mit uns. Dann sind wir in Verbindung mit unserem Wesensgrund.

Lerne daher ständig deine Gedanken und Gefühle zu beobachten. Wenn es dir psychisch schlecht geht, so schau, welches Spielchen dein Ego wieder mit dir treibt.

Versuche dein Ego-Verhalten zu benennen – z. B.: „Jetzt will ich Lieb-Kind sein!“, „Jetzt mache ich mir Sorgen über die Zukunft statt im Hier und Jetzt zu leben!“, „Jetzt bin ich wütend und verurteile jemanden!“ u.s.w.

So erlangen wir „Egobewusstsein“ (Sanskrit - yama) - die zweite Stufe Bewusstseinsstufe auf dem Weg zur Befreiung (samadhi).

"Wir haben Gedanken, wir haben Hoffnungen, wir sind verletzlich, wir können in Aufregung geraten. Doch die wirkliche Lösung muss aus einer Dimension kommen, die von der psychologischen radikal verschieden ist. Das Üben der inneren Unabhängigkeit, das Wachstum des Nicht-Selbst – das ist der Schlüssel zur Erkenntnis" (Charlotte Joko Beck – Zen Lehrerin)

 

Auch über dieses „Nicht-Selbst“ werden wir uns noch ausgiebiger unterhalten.

 

Mit herzlichem Gruß

Bernd Helge Fritsch