ESSAY-BRIEF

Briefe

Bücher

Team

Kontakt

Home

Aktuell

Essay-Brief Februar /1 2012

Ist die Welt gut so wie sie ist?

© Bernd Helge Fritsch

 

Was die erscheinende Welt anbelangt, gibt es nicht „die Welt“ sondern viele Welten, die jeder Mensch für sich durch seine „Sicht“ der Dinge, durch seine Denk- und Gefühlsmuster erschafft. Jeder beurteilt die Welt so, wie er gepolt ist. Der Pessimist mit seinem Fokus auf negative Ereignisse und Möglich-keiten, wird die Welt anders beurteilen als der Optimist. Wer frisch verliebt ist, sieht die Welt gerne durch eine rosa Brille. Nach einem harten Schicksalsschlag wird der eine verzweifeln und sich vielleicht das Leben nehmen, der andere lässt sich nicht unterkriegen und blickt zuversichtlich in die Zukunft.

Vielleicht kennt ihr die Geschichte von einem weisen Mann, der in einem kleinen Dorf in China lebte. Sein einzig erwähnenswerter Besitz war ein großer, wunderschöner schwarzer Hengst. Doch eines Tages war dieser Hengst aus seiner Koppel ausgebrochen und ward nicht mehr gesehen. Da kamen die Nachbarn herbei und bedauerten den Weisen mit Worten wie: „Das ist ein fürwahr schreckliches Unglück!“ Der Mann antwortete nur: „Ist das so?“ Es vergingen eineinhalb Jahre. Eines Tages dann kehrte der schwarze Hengst zurück zum Hof des weisen Mannes und brachte mit sich eine große Herde von wilden Pferden, deren Leittier der Hengst in der Zwischenzeit geworden war. Jetzt war der Mann in den Augen seiner Nachbarn gesegnet und reich und sie kamen zu ihm und sagten: „Was für ein unwahrscheinliches Glück du hast!“  und der Mann antwortet wieder nur: „Ist das so?“

Der Weise  hatte einen einzigen, bereits erwachsenen Sohn. Dieser wurde nun zu einem begeisterten Reiter. Eines Tages jedoch stürzte er von einem Pferd und zog sich einen schweren Beinbruch zu, welcher nur mangelhaft verheilte, sodass er beim Gehen für sein Leben lang erheblich behindert blieb. Da kamen wieder die Dorfbewohner und sagten: „Oh, wie schlimm ist das!“ und der Weise antwortete wieder: „Ist das so?“ Ein Jahr nach dem Unfall des Sohnes brach ein Krieg aus und alle gesunden Männer des Dorfes mussten zum Militär einrücken. Nur der Sohn des Weisen wurde wegen seiner Behinderung verschont. Nur wenige von den Männern, die eingerückt waren, überlebten den Krieg.

Der Verstand des gewöhnlichen Menschen steht unter einem magischen Zwang, alle Dinge, Ereignisse und vor allem die Mitmenschen zu analysieren, zu beurteilen (oft auch zu „ver-urteilen“) und zu schubladisieren. Die Ursache für dieses Verhalten wird gleichnishaft in der Geschichte von Adam und Eva, die verbotenerweise vom Baum „der Erkenntnis von gut und böse“ gegessen haben, dargestellt. Diese weisheitsvolle Schilderung im Alten Testament (1.Buch Mose) beschreibt das Entstehen des dualen Bewusstseins des Menschen.

Richtig verstanden, hat nicht „Gott“ sondern das neue Bewusstsein, mit seinem zwanghaften Bewerten von „gut“ und „böse“ den Menschen aus dem „Paradies“, aus der „Einheit“ mit allem Sein vertrieben. Jetzt befindet sich die Menschheit in der „Zwei-heit“ ihres Denkens. Das Bewerten, schafft Trennung, schafft Disharmonie, schafft den „Zwei-fel“ (gleicher Wortstamm wie der „Teufel“). Könnte der Mensch dieses zwanghafte Denken und beurteilen wieder beenden, so kehrt er zurück ins Paradies. So einfach könnte die „Befreiung“ von allen Übeln dieser Welt sein.

Doch der Mensch will gar nicht auf die Unterscheidung von „gut“ gut und „böse“ verzichten. Denn natürlich ist er bei der Bewertung von anderen, bei der Bewertung seines Schicksals, bei der Bewertung der Welt, immer der „Gute“, der „Arme“ oder der „Glückliche“, je nachdem ob er oder andere leiden. Das stärkt ungemein sein Ego-Gefühl.

Es gibt kein „gut“ und „böse“ auf dieser Welt – außer im Denken der Menschen. Es gibt nur lebens-bejahendes, förderndes und lebensverneinendes, zerstörendes Denken und Verhalten. Die Unterscheidung von „gut“ und „böse“ hat immenses Unheil auf dieser Welt angerichtet. Alle Streitigkeiten, Kriege, Ängste, psychischen Störungen entspringen dem „Du bist schlecht! Ich bin gut!“; „Ich bin von dir bedroht!“; „Du verstehst mich nicht!“; „Das Leben ist gefährlich!“; „Ich muss mir Sorgen machen!“; Ich bin ein Versager!“; „Man liebt mich nicht!“ oder „Das ärgert mich!“. Es gibt auch keine „Schuld“. Diese Schuld-Beurteilung dient nur dazu sich oder andere Menschen zu verurteilen und klein zu machen.

Selbst den größten Verbrecher trifft keine „Schuld“, sondern er leidet an grober Unwissenheit. Je größer die Unbewusstheit desto mehr Leiden für sich und andere verbreitet er. Natürlich sollten wir, so gut es geht verhindern, dass gestörte und unwissende Menschen Leid verursachen. Die beste Vorsorge diesbezüglich besteht allerdings darin, selbst bewusster zu werden, selbst sein „Ego“ aufzulösen, selbst Vorbild zu sein.

Der geistige Verlust des „Eins-Seins“ erfolgt Hand in Hand mit der Identifikation des Menschen mit seinem Körper. Dabei betrachtet sich der Mensch als ein abgegrenztes, allein der Welt (seiner selbst erschaffenen Welt) gegenüber stehendes, von Mangel, Krankheit, Alter und vom sicheren Tod bedrohtes Wesen. Das ruft natürlich Angst hervor. Die Angst bewirkt Gier, Wut, Neid, Eifersucht, Geltungssucht, Stress, Sich-vergleichen mit anderen, Sucht nach Lob und Anerkennung, Rechthaberei, Sich-bedauern, Selbstunsicherheit usw. Die ganze Palette des Ego-Denkens und Verhaltens entspringt aus dem dualen, von der Einheit getrennten Denken.

Mit dem „Nicht-Bewerten“ mit dem „reinen Gewahr-Sein“ tritt sofort ein Gefühl der Befreiung von allen psychischen Lasten ein. Gewahr-Sein bedeutet Nicht-Identifikation – weder mit meinem Körper, noch mit meinen Gedanken und Gefühlen. Gewahr-Sein heißt Nichturteilen, das Sein annehmen wie es ist. Gewahr-Sein bedeutet, gegenwärtig sein, unbelastet von dem was war und was sein wird. Es öffnet die Seele für Schönheit, Frieden, Freude und für wahre Liebe. Es gibt nichts Beglückenderes als „just be“ – nicht dies oder das zu sein, mit nichts identifiziert zu sein, außer mit dem allumfassenden Sein.

Krishnamurti erklärte im hohen Alter anlässlich eines Vortrages: „Wollt ihr mein Geheimnis wissen? Ich habe nichts gegen das, was geschieht!“  Mit diesen Worten bringt er seine Harmonie mit dem Sein, mit dem Leben, wie es ist, zum Ausdruck.

Trennung entsteht aus Beurteilung, Widerstand, Angst und Begehren. Im Zustand des reinen Gewahr-Seins ereignet sich wahre Liebe, Liebe ohne Begehren, ohne Bevorzugung, ohne Widerstand gegen das Leben wie es jetzt gerade ist. Erinnere dich der Worte des Jesus: „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welcher Lohn gebührt euch dann?“

Wenn wir eine Landschaft betrachten, so können wir mit ihr nur dann Eins sein und ihre wahre Schönheit einatmen, wenn der Verstand schweigt, wenn wir unser Ego vergessen, wenn wir nicht an Gestern und Morgen denken, wenn wir ganz dem Augenblick hingegeben sind. Sobald das Denken und Bewerten einsetzt, geht der Zauber des Eins-Seins, der wunschlosen Liebe verloren. Wenn ich denke: „Wie schön ist es hier, viel schöner als zu Hause!“ oder „Hier möchte ich ein Haus haben und ständig wohnen!“ oder „Ich muss das fotografieren!“ - schon ereignet sich Trennung, schon bin da ich und dort ist die Landschaft.

Das gleiche gilt, wenn wir einem Menschen begegnen. Gewöhnlich nehmen wir den anderen in seiner umfassenden Vollkommenheit gar nicht wahr. Die Sinne und der Verstand zeigen uns nur irgendwelche Details, welche wir bewerten. Wie wir gewöhnlich über andere denken, wie wir andere beurteilen, sagt viel über uns selbst aus und wenig über den anderen. Durch unser Denken erfassen wir – wenn überhaupt - nur einen oberflächlichen winzigen Bruchteil des Wesens eines anderen. Nur im Stille-Sein ist die Ganzheit, ist Liebe erfahrbar.

Natürlich müssen wir für unsere täglichen und nicht alltäglichen Entscheidungen bewerten zwischen nützlich und unnütz, schädlich und lebensfördernd. Doch davon unterscheidet sich das psychologische, die Seele belastende, Angst machende, trennende, unnütze und lebensfeindliche Urteilen im Sinne von „gut“ und „böse“. Auch im Bereich der notwendigen Entscheidungen kommen die wirklich lebensfördernden, kreativen Ideen nicht aus dem gewöhnlichen vorprogrammierten Denken, sondern aus der Stille, aus dem Raum jenseits des Verstandes.

Zurück zur Fragestellung, ob die Welt gut ist, wie sie ist. Um diese Frage zu beantworten muss vorerst geklärt werden, von welcher Welt wir sprechen – meine, deine, die kollektive? Die „individuelle Welt“ entsteht wie die Welt im Traum. Wir selbst erschaffen das Geschehen im Traum aus Erinnerungen, die in unserem Unterbewusstsein gespeichert sind. Und wir halten im Traum diese Welt für absolut real. Erst wenn wir erwachen, erkennen wir die Illusion des Traums. Ähnlich ist es mit unseren Vorstellungen über „die Welt“ im sogenannten Wachzustand. Sie unterscheiden sich gewöhnlich nicht viel von Träumen. Der „normale Mensch“ befindet sich vorwiegend im sogenannten „Tagtraum“.  Unser duales, bewertendes, vom Unterbewusstsein konditioniertes Denken gaukelt uns gemeinsam mit unseren beschränkten Sinnesorganen eine Welt vor, von deren Realität wir total überzeugt sind. Und viele schaffen mit ihrem Denken und urteilen eine Welt voller Probleme und Schwierigkeiten. Sodann glauben sie an diese Welt und wollen schließlich die Probleme mit dem Denken - welches die Probleme geschaffen hat – beseitigen. Das ist ein hoffnugsloses Unterfangen!

Erst wenn wir aus dem „Tagtraum“ erwachen, löst sich die Vorstellung  von einer guten oder schlechten Welt auf und wir erkennen die Einheit, Weisheit, Schönheit und Vollkommenheit der wahren, von Liebe getragenen Welt. Besser gesagt wir „erkennen“ nicht die Vollkommenheit der Welt, sondern wir sind eins mit der wirklichen Welt.

Der gewöhnliche Mensch sieht vorwiegend nur seine eigenen Bilder, seine Projektionen, seine Bewertungen wenn er in die „Welt“ blickt. Er übersieht dabei sich selbst. Und so kommt es, dass er seine Projektionen für die Wirklichkeit hält. Erst wenn wir uns selbst erkennen, uns selbst begegnen, eins werden mit uns selbst, können wir auch den Raum, die Dimension jenseits der Erscheinungen erfassen. Dann zeigen sich der relative Wert und die Bedeutung der erscheinenden Welt. Und es wird klar, – so komisch und verrückt sich das für den dualen Verstand anhört - dass wir nicht getrennte Wesen „in“ der Welt, sondern „die“ Welt sind. Dann löst sich die Frage ob die Welt gut ist, wie von selbst auf. Diese Frage wird so unsinnig wie die Frage ob Sonne und Mond, ein Berg, ein Fluss, ein Eichenbaum, ein Löwe, ein Krokodil oder ein Frosch, eine Taube oder ein Adler gut oder schlecht sind, so wie sie sind. Du bist identisch mit dem allumfassenden Sein, mit dem Raum aus dem alle Erscheinungen entspringen. Du bist die erscheinende Welt. Du bist nicht allein. Du bist alle Berge, Flüsse, Pflanzen, Tiere und Menschen. Du bist das ewige, zeitlose Sein. Du bist Nichts und Alles. Meditiere darüber!

 

Viel Freude dabei wünscht dir

Bernd Helge Fritsch