ESSAY-
Essay-
Loslassen
© Bernd Helge Fritsch
Die Empfehlung: „So lass doch los!“ zählt zu den beliebtesten „Rat-
Wann ist Loslassen besonders gefragt? Wenn uns ein lieb gewordener Mensch verlässt; wenn unsere Kinder Irrwege gehen; wenn wir gegen Probleme am Arbeitsplatz ankämpfen müssen; wenn wir oder nahe Mitmenschen krank sind; wenn wir Geldprobleme haben; wenn wir uns von einer Sache trennen müssen, die wir sehr gerne haben; wenn wir nicht erreichen, was wir wollen; wenn Träume zerplatzen…
Bei den meisten Menschen haben sich Denken und Fühlen verselbstständigt. In Verbindung mit unserem „kleinen Ich“ sind die Gedanken ständig mit der Zukunft, mit Plänen, Wünschen, Hoffnungen, Ängsten und Sorgen oder mit der Vergangenheit, mit unverdauten Ereignissen, Kränkungen, Trauer, Träumereien beschäftigt. Die Gedanken „haften an“. Wir spüren so nicht was wir wirklich sind, sondern unser Bewusstsein ist ausgefüllt mit diesen Gedanken und den mit ihnen verbundenen Gefühlen. Wir „sind“ in diesem Zustand das, was unser Denken intensiv beschäftigt: Begehren, Wünsche, Hoffnung oder Ärger, Angst, Trauer. Dieses „Anhaften“ unserer Gedanken hindert uns daran, das Wunder des gegenwärtigen Seins in seiner ganzen Weite und Tiefe zu erfassen und zu genießen. Das was wir wirklich „sind“, nämlich reines Bewusstsein, Liebe und Glückseligkeit findet keinen Platz mehr in unserem Leben.
Für viele Menschen ist das „Loslassen“ ein riesiges Problem. Sie fragen sich: „Warum
sollte ich loslassen? Ich will doch das haben, wovon ich mir Freude erwarte!“ Sie
träumen von der großen Liebe, von Geld, Erfolg, Anerkennung, wunderbaren Erlebnissen
oder gar von Erleuchtung… Nicht zuletzt wollen sie das loswerden, womit sie anscheinend
rettungslos verbunden sind, ihre Schwächen, ungeliebtes Verhalten der Mitmenschen,
unangenehme Lebens-
Loslassen bedeutet annehmen, was ist. Auflehnung gegen das, was „jetzt“ ist, hilft uns nicht weiter, sondern schadet nur der eigenen Seele. Innerer Frieden, Harmonie mit dem Sein, kann sich erst dann einstellen, wenn wir die Welt vorerst liebevoll akzeptieren wie sie ist. „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr davon? Lieben nicht auch die Sünder ihre Liebhaber?“ (Luk.6,32). Liebevoll annehmen, was ist, bedeutet nicht Resignation oder sich alles gefallen lassen, wie ich immer wieder betone. Doch Akzeptanz ist die Voraussetzung für weisheitsvolles Verhalten.
Widerstand gegen das, was „jetzt“ ist, verursacht einen inneren Konflikt mit dem
Leben. Wer aufmerksam seine Gedanken und Gefühle beobachtet, spürt wie bei jedem
inneren Widerstand gegen das, was uns gerade begegnet, Ärger, Verkrampfung, Unlustgefühle
in uns auftauchen und oft über Stunden, Tage und Wochen anhalten. Widerstand statt
„Loslassen“ und „Zulassen“ führt zu innerer Verspannung, Konzentrationsstörungen,
Gedankenkreisen, Fehlentscheidungen, Suchtverhalten, Selbstverurteilung, Selbstmitleid,
zu Wut, Hass, Aggression und in schweren Fällen zu Panikattacken, Burn-
Das Leben ist das, was es gerade jetzt ist. Wenn wir unsere Lebensumstände erfolgreich
verändern wollen, so müssen wir uns zuerst aussöhnen mit dem was ist. Wenn wir die
„neutrale“ Liebe zum Sein, ohne nervöses Wünschen und Ablehnen „zu-
Zulassen und Loslassen fällt uns leicht, wenn wir eines der wichtigsten Lebensgesetze verinnerlicht haben: „Das Schicksal macht keine Fehler!“ Dann brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen, dann verurteilen wir nichts und niemanden. Damit schaffen wir Raum für Vertrauen, für Liebe und für die Fülle des Lebens. Diese Fülle umgibt uns ständig und wartet nur darauf, dass wir loslassen und zulassen.
Doch das Ego vermeint ständig sein Umfeld und auch sich selbst verändern und verbessern
zu müssen. Durch unnützes „Viel-
Das wahre „Yoga“ – die Verbindung zum Sein -
Patanjali erklärt in seinen berühmten „Yoga-
„Durch Übung (abhyasa) und Loslassen (vairagya) kommt der Mind zur Ruhe.“(12.)
Die „Übung“ besteht darin, immer wieder die Vorgänge in unserem Mind neutral (ohne Bewertung) zu beobachten. So gewinnen wir Abstand von den rastlosen Aktivitäten unseres Denkens und den damit verbundenen unruhigen und belastenden Gefühlen.
Patanjali:
„Beständiges Ringen die Wellen des Denkens im Zaum zu halten bedeutet Übung.“ (13.)
Die ständige Wiederholung dieser Übung ist solange erforderlich, bis die uralten Konditionierungen unseres Unterbewusstseins umprogrammiert sind. Das kann Monate und Jahre dauern, doch die ersten Früchte dieser Übung werden sich bald einstellen.
Zum „Loslassen“ erklärt Patanjali:
„Losgelöstheit wird denen zuteil, die dem Durst nach Sichtbarem und Hörbarem entsagen…“ (15.)
Was ist das „Sicht-
„Dem Durst nach Sicht-
Das „Wünschen“ und das „Bitten“ wurden uns von klein auf angelernt. Wenn wir schön
brav bitten, bekommen wir vielleicht das Erwünschte. Wie viele Kinderbriefe bekommt
das Christkind zu Weihnachten mit den Worten: „Bitte liebes Christkind, schicke mir...;
mach, dass…“? Kindliches Wünschen ist normal und gut. So wie das Ego-
Wie der große Mystiker Meister Eckehart sagt: „Wer (Gott) um dies oder jenes bittet, der bittet um Übles und in übler Weise, weil er um die Verneinung des Guten und um die Verneinung Gottes bittet, und er betet darum, dass Gott sich ihm versage.“ (Diese Aussage und weitere 26 Lehrsätze des Meister Eckehart wurden im Rahmen eines Inquisitionsverfahrens durch die Bulle des Papstes Johannes XXII. vom 27. März 1329 verdammt.)
Alle großen Weisheitslehrer empfehlen die Aufgabe des Egos, die „Hingabe“ an das
Sein. In der Einleitung zum „Vater unser“, dem Gebet, welches Jesus seinen Jüngern
gelehrt haben soll (Mat. 6,7-
Im weiteren Text artet allerdings dieses Gebet, im Widerspruch zu „dein Wille geschehe“
in ein „Wunsch-
Das Universum will keine „Bittsteller“, sondern freie Menschen, die bereit sind nach innen zu schauen, zu erkennen und loszulassen.
Das wahre Gebet ist ein „Dank-
Die meisten Menschen haben in ihrem Leben schon die Erfahrung gemacht, dass Werke am besten gelingen, wenn wir sie nicht erzwingen wollen, sondern mit Leichtigkeit und „Gottvertrauen“ an die Arbeit herangehen. Wenn wir uns der in uns wohnenden universellen Weisheit anvertrauen und „ES geschehen lassen“ so erreichen wir unser Ziel mühelos und viel vollkommener als wenn wir etwas erzwingen wollen.
Dieses „Gesetz des Loslassens“ bestätigt sich besonders gut erkennbar bei sportlichen Bewerben. Kaum beginnt ein Sportler während eines Spieles zu denken „jetzt muss ich gewinnen!“, „jetzt muss ich den perfekten Schlag landen!“ oder „Ich darf jetzt keinesfalls einen Fehler machen!“ – schon regiert ein verkrampftes Wollen und die natürliche Weisheit, Eleganz und Leichtigkeit sind wie weggeblasen. Auch ein guter Redner muss loslassen können, um zu spüren welche Gedanken, welche Worte, welche Dynamik der Augenblick verlangt. Der gute Redner will nicht gut sein, sondern er lässt „ES“ sprechen.
Wer seine Wünsche, seinen „Ego-
Mit herzlichen Grüßen
Euer Bernd