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Essay-Brief Juli 2012

Vom Sinn des Lebens

© Bernd Helge Fritsch

 

Im skurrilen Film der Monty Pytons „Der Sinn des Lebens“ wird dieser Sinn sehr schlicht definiert: „Seien Sie nett zu Ihren Nachbarn, vermeiden Sie fettes Essen, lesen Sie ein paar gute Bücher, machen Sie ein paar Spaziergänge und versuchen Sie, in Frieden und Harmonie mit Menschen jeden Glaubens und jeder Nation zu leben!“ Klingt doch gemütlich, friedlich – einfach gut?!

Macht es überhaupt Sinn über den Sinn nachzudenken? Man könnte sagen das Leben ist, wie es ist! Kein Tier und keine Pflanze machen sich Gedanken darüber, wozu ihr Leben gut sein soll. Sind die Menschen vielleicht deshalb vorwiegend unglücklich, weil sie viel zu viel über sich selbst, über ihre Vergangenheit, über ihre Wünsche und Sorgen und über ihr Glücklich-Sein nachdenken?

Doch es könnte vielleicht sein, dass wir unser Leben bewusster und erfüllter gestalten, wenn wir seinen Sinn erkennen. Es könnte sein, dass unser Glücklich-Sein davon abhängig ist, inwieweit wir den Sinn erkennen und ihm entsprechen.  

Wenn du jemand fragst ob er sein bisheriges und jetziges Leben als erfüllt und glücklich ansieht, so gibt es eine Sorte von Menschen, die „Schwarzseher“, die seufzen, die sich bedauern, die eher zur Depression neigen und die dir vielleicht gleich, ob du es hören willst oder nicht, von ihrem Leid und ihren Problemen erzählen. Andere würden nicht zugeben, dass sich ihr Glücksniveau auf sehr bescheidenem Niveau bewegt, weil sie nicht als „Lebensversager“ dastehen wollen oder sie erzählen dir, wie wunderbar es ihnen geht, weil sie gerne von anderen um ihr vermeidliches Glück beneidet werden. Viele haben sich so sehr an ein flaches, freudloses, überwiegend sorgenvolles Leben gewöhnt, dass es ihnen gar nicht mehr auffällt, wie sie ihr Leben vergeuden. Selten findet man Menschen, die rundum zufrieden und glücklich sind und dies auch ausstrahlen.

Ich schlage vor, wir machen vorerst einen kleinen Rundgang, besuchen einige große Weisheitslehrer und bekannte Religionen um zu erkunden, ob sie uns den „Sinn“ erklären können.

Der legendäre chinesische Philosoph Laotse (er lebte angeblich im 6. Jh. v. Chr.) schreibt in der ersten Strophe des Daodejing auch Tao-Te-King (einzige bekannte Niederschrift seiner Lehre):

„Der Sinn (im chin. Original „Dao“), den man ersinnen kann, ist nicht der Sinn.“

(Übersetzung von Richard Wilhelm)

 

Daraus kann man ableiten, dass nach Laotse der Sinn des Lebens mit dem Verstand nicht greifbar ist. Unser Denkapparat funktioniert indem er die Erscheinungen des Lebens analysiert, das heißt in „Bruchstücke“ verwandelt und sich sodann aus den definierten Einzelteilen eine Wahrheit zusammenbastelt. Dabei stützt er sich auf seine Erfahrungen, auf seine gewohnten Bewertungen, auf seine Denkmuster aus der Vergangenheit. Wie vermag dieses bruchstückhafte, von der Vergangenheit geprägte Denken das „Ganze“, den Sinn des Lebens zu erfassen?

Können wir trotzdem diesem Sinn näher kommen? Für die alten chinesischen Meister des Daoismus, Laotse und Dschuang Dsi (365 bis 290 v. Chr.) ist das „Dao“ der Ursprung, der Wandel und das Ziel aller Dinge. Alles was es gibt und was geschieht ist durchdrungen von dem „Dao“, welches als das unergründliche, nicht beschreibbare („namenlose“) Lebensprinzip beschrieben wird. Laotse:

„Das Unbenannte ist der Ursprung von Himmel und Erde;

das Benennen ist die Mutter der zehntausend Dinge.“

 

„Benennen“ bedeutet mit dem Verstand erfassen, analysieren, etikettieren. Auf diese Weise entsteht unser Weltbild mit den von einander getrennten „zehntausend Dingen“.

In den altindischen Weisheitslehren entspricht das „Dao“, dem alldurchdringenden und allumfassenden „Brahman“, der absoluten, unvergänglichen Realität. Wie Shankara (788 – 820 n.Chr.), der große hinduistische Philosoph und Weisheitslehrer im „Kleinod der Unterscheidung“ (Viveka Chudamani) erklärt, ist das einzig bedeutende Lebensziel des Menschen die bewußte Vereinigung mit dieser allumfassenden „Wirklichkeit“:

„Die Menschen klammern sich an vergängliche Erscheinungen.

Sie verfehlen die Verwirklichung ihres Seins.

Sie versäumen die höchste Glückseligkeit, das Ziel der Reise,

die Vereinigung mit dem universellen Bewusstsein, mit Brahman.“

(siehe „Das Kleinod des Shankara“ – Seite 16)

 

„Brahman“ ist nach Shankara identisch mit „Atman“, dem innersten Wesenskern eines jeden Menschen.

Deshalb kann jeder, wenn er tief genug in sich hineinblickt, den „Sinn“ erfahren.

Nach den „Vier Edlen Wahrheiten“ des Siddhartha Gautama Buddha ist das Leben des Menschen geprägt von Leiden (dukkha). Nach Siddhartha ist die Ursache des Leidens in uns selbst zu finden. Sie wird bewirkt durch das „Anhaften“ an den „lieblichen und angenehmen Dingen der Welt“ und durch den inneren Widerstand gegenüber „unliebsamen Objekten“. Überwunden wird das Leid wenn wir erkennen, welchen Stellenwert „das Liebliche und Angenehme“ hat und wie vergänglich es ist. Durch Übung der Achtsamkeit gewinnen wir Abstand von den Dingen der Welt. Dann fällt es uns leicht das loszulassen woran wir hängen und gelassen anzunehmen was immer sich ereignet.

Auch für die jüdischen und christlichen Kirchen ist das Leid der Menschen während des Erdendaseins „normal“. Sie erklären dies mit der „Erbsünde“: Weil Adam und Eva die Frucht vom verbotenen Baum gegessen haben, mussten sie aus dem Paradies ausscheiden. Und Gott sprach zum Weibe: „Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären…“ Und er verdammte Adam mit den Worten: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang…“ (siehe 1.Mose 3,16-17)

Nach diesen Worten sieht es so aus, als wäre der „liebe“ Gott der Juden und Christen eher ein unbarmherziger und nachtragender Himmelsvater. Doch es gilt das Gleichnis des „Sündenfalls“ richtig zu verstehen. Der Genuss der Früchte vom „Baums der Erkenntnis von gut und böse“  bedeutet einen phantastischen Entwicklungsschritt des Menschen von der paradiesischen Einheit mit allem Sein, in Richtung Individualität. Individualität kann nur in der Absonderung von der Ganzheit entstehen. Allerdings besteht der Preis den die Menschheit dafür bezahlen musste darin, dass sie die ganze Tiefe, Schönheit und Weisheit des Lebens nicht mehr wahrnehmen kann. Unser zwanghaftes Denken zerlegt das Sein in „gut und böse“ in „will ich und will ich nicht“. Dieses Denken führt zur Bildung des „Egos“, eines unwirklichen „Ichs“. Diesem „Ego“ ist die Empfindung für den „Sinn“, für die Einheit und Vollkommenheit allen Seins abhanden gekommen.

Es ist also das duale, analytische und benennende Denken welches einerseits unsere Individualität, unser persönliches Schicksal (Karma) und die Einmaligkeit eines jeden Menschen, ermöglicht. Andererseits ist gerade dieses Denken die Ursache für das Gefühl der Trennung, der Isolation, der Ohnmacht und des Unglücklich-Seins. Der Mensch hat eine Bewusstseinsveränderung erfahren, doch das neue Bewusstsein ist noch hilflos, voller Fragen, Sorgen und Probleme. Der „neue Mensch“ weiß nicht wer er ist. Befreiung kann erst mit der Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ erfolgen.

Das „falsche Ich“, das „Ego“ ist ständig auf der Suche nach dem „Glück“, weil es das Gefühl hat, da fehlt noch etwas Wesentliches in seinem Leben. In seiner Unwissenheit eilt das „Ego“ hinter dem scheinbar „Guten“ her und bekämpft all das, was ihm an dieser Welt missfällt. Der Kampf um das „Gute“ und gegen das „Böse“ das „Ungeliebte“ ist an die Stelle der spielerischen Freude am Sein getreten. Doch, wie viele Menschen schon erkannt haben, verscheuchen wir das „Glück“, wenn wir ihm nacheilen und verstärken das „Übel“, wenn wir dagegen ankämpfen.

Das „Dao“, „Brahman“, „der Himmel“, „die Glückseligkeit“, „Gott“ oder der „Sinn“ – mit welchen Worten das „Unbenennbare“ umschrieben wird - erschließt sich dem Menschen, wenn er über das gewöhnliche Denken hinausgeht. Alle Weisheitslehrer und Religionen sind sich darin einig, dass wir um diesen Bewusstseinszustand zu erreichen, von unserem „Ego“, hervorgerufen durch das duale Denken, durch die Identifikationen mit unserem Körper, unserem Denken, unserer Vergangenheit, loslassen müssen.

 

Mit diesen Fragen und mit der alles umgreifenden Schlüssel-Frage „Wer bin ich?“ wollen wir uns in den folgenden „Essay-Briefen“ (unsere neue Bezeichnung der „Erfolgsletter“) weiter befassen.

Doch so viel sei schon jetzt verraten: der Sinn des Lebens besteht zweifellos darin einfach „zu leben“ wie es eingangs dieses Essaybriefes im Film der Monty Pytons beschrieben wird. Doch für uns ist es nicht nur wichtig nach alten, gewohnten Mustern  „zu leben“, sondern sich für eine Bewusstseinsstufe zu öffnen, die tiefes Eins- und Glücklich-Sein ermöglicht. Dann offenbart sich das Mysterium des Lebens ohne Erklärungen. Dann spricht der „Sinn“ zu uns aus jedem Sonnenstrahl, aus jeder Wolke, aus jeder Blume, aus jedem Vogelgezwitscher, aus jeder Träne und aus jedem Lächeln eines Menschen.

 

Viel Freude und schöne Sommertage

wünscht dir

Bernd Helge Fritsch