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Essay-Brief August 2012

Über den Sinn des Lebens -  II

© Bernd Helge Fritsch

 

Alles Elend, alle Sorgen, alle Probleme entspringen einer falschen geistigen Einstellung zum Leben. Immer wieder begegnen wir Menschen die massiv unter ihrer Lebenssituation leiden, so ein Unternehmer der vor dem Konkurs steht, ein anderer der von seinem langjährigem Partner verlassen wird, jemand der schwer erkrankt oder ein weiterer der seinen lieb gewordenen Wohnsitz verlassen muss. Und es ist ja nicht so, dass nicht auch ich durch ähnliche Krisen hindurchgehen durfte. Inzwischen konnte ich erkennen: „Das Schicksal macht keine Fehler!“ Nicht die Fakten sind das Problem, sondern unsere Bewertung der vermeintlichen „Tatsachen“. Die Menschen erkennen nicht den „Sinn“ und wissen nichts von der Weisheit die in alles Geschehen eingebunden ist.

Wenn wir uns über den „Sinn“ des Lebens unterhalten, sollten wir klären von welchem „Leben“ wir sprechen. In der dualen Denkweise gehen wir davon aus: „Da bin ich – mein Körper, meine Gedanken und meine Gefühle, meine vergangenen und zukünftigen Erfahrungen – und da draußen, rund um mich ist das Leben. Und ich bin hineingestellt in dieses Leben mit all seinen Freuden und Problemen und muss mich darin irgendwie zurechtfinden.“ Dieses Leben beginnt mit dem schmerzvollen Prozess der Geburt (für die Mutter und das Kind), geht sodann durch das „auf und ab“ der Wege, die wir beschreiten, durch Freuden und Leid und endet mit dem Altern und dem unentrinnbarem Tod. Doch diese Sicht ist einseitig und daher falsch. Aus dieser Perspektive ist der Sinn schwer zu erkennen.

Eine andere Denkweise sagt: „Du bist nicht dein Körper, du bist nicht dein Denken, all deine Erlebnisse und Gefühle, sondern du bist selbst das Leben!“ Danach existiert nicht das „Ich“ auf der einen Seite und das „Leben“ auf der anderen. Du „hast“ kein Leben, sondern du „bist“ das Leben. Die Trennung zwischen dir und der Welt ist auf dieser Bewusstseinsstufe aufgehoben. Alle Ängste, Sorgen und Probleme verschwinden. Es gibt kein geboren werden, kein Altern, keinen Tod, kein „einmaliges“ oder „mein“ Leben. Solange du allerdings denkst: „Ich habe ein Leben und es ist nur dieses eine Leben“, hast du auch ein riesiges Problem.

Du wirst jetzt vielleicht sagen: „Das sind philosophische Theorien. Meine Wirklichkeit sieht anders aus. Natürlich bin ich eins mit meinem Körper und genieße seine Freuden und erleide seine Schmerzen!“

Diese „Wahrheit“, die dir dein duales, bewertendes Denken vortäuscht, ist genauso wirklich wie die „Tatsachen“ in einem Traum. Solange du in einem Traum be-(ge-)fangen bist, glaubst du alles, was in diesem Traum vor sich geht. Erst mit dem Erwachen kannst du erleichtert feststellen: „Ach das war nur ein Traum!“

Unser gewöhnliches Wach-Bewusstsein zeigt uns eine Welt, welche von den alten asiatischen Weisheitslehrern als „Maya“, als Illusion oder als „Lila“, als göttliches Spiel der Formen bezeichnet wurde. Durch die Art wie unsere Sinne wahrnehmen und wie unser Denken die Wahrnehmungen interpretiert entsteht eine Welt, die so wirklich ist wie eine Brücke die ein Regenbogen bildet. Da ist tatsächlich keine „echte“ Brücke, sondern nur eine Lichterscheinung, eine Spiegelung und Brechung des Sonnenlichts in den Regentropfen. Ebenso spiegelt sich das Licht des „Dao“, oder wie immer du die universelle Essenz benennen willst, im „Nebel“ unseres beschränkten Verstandes und lässt für jeden Menschen „seine eigene“ Welt entstehen.

Auch die moderne Physik widerlegt die Vorstellung einer objektiven, aus „Materie“ bestehenden „handfesten“ Welt. Die alten Griechen dachten, dass die Substanz unserer Welt aus festen, kleinsten und unteilbaren Teilchen, den Atomen zusammen gesetzt ist. Inzwischen zeigt die Forschung der letzten 100 Jahre, dass auch Atome nur aus Teilchen bestehen, die im leeren Raum schwingen. Diese Teilchen stellen sich ihrerseits bei genauer Beobachtung und Analyse wiederum nur als im leeren Raum vibrierende noch kleinere Teilchen dar. Dasselbe gilt für diese Teichen und so weiter, bis nur mehr Schwingung, Energie übrig bleibt.

Die kleinste Einheit aus der die physische Welt besteht, ist das „Nichts“, ein Raum ohne Begrenzung, reine „Leere“.  Diese Leere entspricht auf der geistigen Ebene dem „Sinn“ der nicht „ersonnen“ und „benannt“ werden kann (siehe vorangehender Essay-Brief). Sie entspricht dem „Dao“, dem reinen „Bewusstsein“, der großen allumfassenden schöpferischen Energie aus der alle Erscheinungen hervorgehen.

Das Wesentliche im Leben, das „Reale“, das „Brauchbare“ ist dieses „Nichts“. Das beschreibt schon Laotse vor rund 2500 Jahren im „Daodejing“ mit den Worten:

Man bildet Ton und macht daraus Gefäße:

Aus dem Nichts daran beruht des Gefäßes Brauchbarkeit.

Man durchbricht die Wand mit Türen und Fenstern, damit ein Haus entstehe;

Aus dem Nichts daran beruht des Hauses Brauchbarkeit.

Darum: Das Sein gibt Besitz, das Nichtsein Brauchbarkeit.

 

So verrückt es vielleicht klingen mag, das „Brauchbare“ an uns selbst ist ebenfalls das „Nichts“. Wir sind nicht identisch mit irgendwelchen Erscheinungen. Wir sind nicht einmal unsere Gedanken und Gefühle – diese sind nur das Spiel der „Lila“. Wir sind reines Bewusstsein. Zugegeben, diese Vorstellungen sind für das gewohnte Denkverhalten schwer zugänglich. Ein Vergleich möge daher die Sache erleichtern:

Wenn wir in einem Kino sitzen und einen Film anschauen, so vergessen wir leicht, dass wir keine Wirklichkeit erleben, sondern nur ein Spiel von projizierten Bildern. Ebenso erleben wir im normalen Tagesbewusstsein Bilder die unser „Mind“ in Verbindung mit den Sinnesorganen produziert und vergessen dabei was „wirklich“ ist und wer wir wirklich sind. So wie im Schlaf Traum-Bilder erscheinen, die wir selbst aus dem Unterbewusstsein erschaffen, so gestalten wir im „Tagtraum“, jeder für sich, eine eigene „Welt“. Die Welten der Menschen haben allerdings viele Gemeinsamkeiten, was dazu führt, dass wir glauben: „Wenn alle so denken wie ich, dann muss das die Wahrheit sein!“

„Real“ ist im Kino die Leinwand auf der die Filmbilder erscheinen. Diese Leinwand entspricht unserem Bewusstsein. Auf dieser „Leinwand“ entstehen die Bilder unserer Sinne, tauchen Gedanken und Gefühle auf. Wir sind nicht die Bilder und Gedanken die auf unserer „Leinwand“ auftauchen. Unsere Gedanken und Gefühle stammen aus vielen Quellen – so zum Beispiel aus unseren Genen, aus dem Unterbewusstsein, aus Einflüsterungen der Erzieher, der Gesellschaft…

Wir sind „leeres, reines Bewusstsein“. Doch diese „Leere“ entspricht nicht unseren gewöhnlichen Vorstellungen von öd und inhaltslos, sondern sie ist „Nichts“ und zugleich „Alles“, die Weisheit, Schönheit, Freude und Liebe die alles Leben durchwirkt.

Wie können wir das Spiel der Maya, den Tagtraum beenden? Wenn wir den „Sinn“ erkennen wollen, wenn wir erfahren wollen, wer wir wirklich sind, müssen wir den „Film“ = den “Tagtraum“ beenden. Dann können wir die „Leinwand“ unser „Bewusstsein“, unser „Selbst“ erkennen. Das ist einfacher als man annimmt: Einfach stille werden, die stets kreisenden Gedanken beenden. Dazu braucht es anfangs etwas Übung, weil wir gewohnt sind, pausenlos zu denken und uns ein Leben ohne Gedanken gar nicht vorstellen können. Wie ich wiederholt empfehle, sollten wir um stille zu werden, nicht die Gedanken unterdrücken, sondern sie mit Abstand fortlaufend beobachten. Zugleich offenbart sich dabei derjenige, der wir wirklich sind, der Beobachter, das reine Bewusstsein, die „Leinwand“ auf der sich die Gedanken abbilden. Wir sind nicht die Gedanken und Gefühle, sondern das Bewusstsein in dessen Kraftfeld Gedanken und Gefühle auftauchen.

In der Freiheit vom zwanghaften Denken und Bewerten offenbart sich der „Sinn“. Dieser Sinn erfüllt uns mit einem tiefen Frieden, mit der großen, ungetrübten Freude des „So-Seins“

Laotse:

Das Unbenannte ist der Ursprung von Himmel und Erde.

Das Benennen ist die Mutter der zehntausend Dinge.

Wer kein Begehren hat, erschaut das Geheimnis.

Wer Begehren hat erblickt die Erscheinungen.

 

Wenn ich darüber spreche, dass wir unser unnützes, nur Probleme schaffendes Denken über Bord werfen sollen, so höre ich immer wieder den Einwand: „Aber ich muss doch denken um meine täglichen Aufgaben zu bewältigen, um Entscheidungen zu treffen, um meine Probleme zu lösen!“

Es ist ein großer Irrtum, wenn du glaubst „du“ denkst, „du“ handelst, „du“ entscheidest. Nur in einem sehr kleinen Bereich können wir wirklich frei denken und handeln (darüber unterhalten wir uns gelegentlich ausführlicher). Gewöhnlich denken und entscheiden wir, wie es unseren Mustern, unserm Schicksal (Karma) aber auch wie es dem alles durchdringenden „Dao“ entspricht. Wie wenig wir Herr unserer Gedanken unserer Entscheidungen sind, können wir leicht erkennen, wenn wir versuchen nicht zu denken oder nicht an etwas zu denken, was uns sehr bewegt. Auch kennt jeder die Situation, dass wir Dinge tun, von denen wir glauben zu wissen, dass wir sie nicht tun sollten und dass wir Handlungen unterlassen, von denen wir denken, dass wir sie ausführen sollten.

In Wahrheit brauchst „du“ dich nicht um deinen Körper, um deine Familie, deine Geschäfte zu kümmern. Lass es geschehen! Wenn wir nicht „Begehren“ (siehe Laotse), wenn wir uns keine Sorgen machen, wenn unser Ego schweigt, wenn wir in der Liebe sind, bekommen wir spontan im richtigen Augenblick die richtige Intuition, was zu tun ist und wir tun (der Körper tut – nicht wir tun!) was zu tun ist. Wenn wir in Harmonie sind mit dem Fluss des Daseins, geschieht alles absichtslos und vollkommen. Schwierigkeiten entstehen nur wenn sich unser Ego mit seinen Ängsten und Wünschen einmischt. Doch sogar dieses Spiel, mit seinen meist unerfreulichen Folgen, gehört zum vollkommenen Spiel des Daseins.

Manche, die sich mit der Idee der „Illusion“ ihrer bisherigen Weltanschauung anfreunden fragen sich: „Wenn alles nur ein Spiel der Maya ist, dann kann ich ja tun und lassen was ich will, es hat ja ohnedies keine Bedeutung!?“

Eine Fata Morgana besteht nicht aus Wasser, sie täuscht es nur vor. So gesehen ist sie eine Illusion. Doch man kann nicht sagen, dass sie nicht existiert. Wenn du knapp am Verdursten durch die Wüste wanderst, so kann sie dich zwar antreiben immer fort auf sie zuzugehen, doch du wirst an ihr nicht deinen Durst löschen können. Eine ähnliche Bedeutung haben deine Illusionen über die Welt. Viele meinen an ihr ihren Durst nach Glück und Frieden löschen zu können. Doch dafür ist „diese Welt“ nicht geeignet.

Obwohl die Welt, wie wir sie mit unserem dualen Denken gleichsam „erfinden“, eine Illusion ist, müssen wir die Gesetze von Ursache und Wirkung („Karma-Gesetz“) auf dieser Bewusstseinsebene respektieren. Denn diese duale „Welt“ ist keine „Nichtwelt“ sondern hat, wie jede Energieebene eine große Bedeutung und eine Kraft. Man kann sagen:

„Das Leben ist nicht das, was wir gewöhnlich denken,

doch was wir denken und wie wir handeln bestimmt unser Leben!“

 

Dein Denken und Handeln auf der dualen Ebene bestimmen den Verlauf deines „Karmas“, sie bestimmen, solange du in der Maya gefangen bist, dein „Tag-Traum-Leben“ -  

„Gutes Tun bringt gute Folgen, böses Tun bringt böse Folgen.

Das Tun um des Tuns willen, bringt keinerlei Folgen mehr.“

 

Wer sein Ego aufgibt, wer im Einklang mit dem Fluss des Daseins handelt, intuitiv, spontan ohne viel zu denken das tut, was zu tun ist und unterlässt, was zu unterlassen ist,  der geht über das duale Bewusstsein hinaus. Für ihn hat „Karma“ keine Bedeutung mehr. Er wirkt und handelt „absichtslos“ durch „Nicht-Tun“. Über dieses „Wu-wei“, wie es im Daoismus genannt wird, werden wir uns in weiteren Essay-Briefen auseinander setzen.

 

Viel Freude und weiterhin schöne Sommertage

wünscht dir Bernd Helge Fritsch