ESSAY-BRIEF

Essay-Brief  Mai 2018

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Die Vergangenheit „aufarbeiten“  

© Bernd Helge Fritsch

 

Frage von Karin:

Lieber Bernd,

Ich habe dich bisher so verstanden, dass es nicht sinnvoll ist, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, um mögliche alte Verletzungen aufzuarbeiten.

Ich hatte nach Anhören einer Audiodatei von Eckhart Tolle den Eindruck, dass er empfiehlt, sich mit alten Verletzungen / Gefühlen sehr wohl auseinander zu setzen, sie also ans Tageslicht zu holen und anzusehen und die Gefühle zuzulassen.

Mich beschäftigt dieses Thema Gefühle und Vergangenheit aufarbeiten schon seit langer Zeit, ich wäre dir sehr dankbar und würde mich sehr freuen, wenn du dazu mal in einem Newsletter schreiben würdest.

 

Antwort:

Liebe Karin!

Danke für deine Anregung zum Thema „Vergangenheit aufarbeiten“ einen Essay-Brief zu verfassen!

Ich stimme dir zu, dass wir uns mit negativen Gefühlen – egal ob neu entstandene oder aus längst vergangenen Ereignissen stammend – auseinander setzen sollten. Doch „wie“ gehen wir sinnvoller Weise mit Problemen und negativen Gefühlen um?

Sich mit den in der Vergangenheit liegenden Ursachen zu beschäftigen verstärkt, nach meiner Ansicht, nur das Übel.

Schon gar nicht sollten wir in der Vergangenheit herum suchen um dort vergessene oder verdrängte Ursachen für unsere gegenwärtigen Probleme und negativen Gefühle zu finden.

Wenn wir den in der Vergangenheit liegenden Ursachen, wie Verletzungen oder sonstige Traumata, erhebliche Aufmerksamkeit schenken, führen wir diesen unnötig Energie zu. Vergangene Probleme verdienen keine weitere Beachtung. Gegenwärtige Probleme lösen sich auf, wenn wir erkennen, dass diese nur Produkte unseres Denkens und Bewertens sind.

Beende dein Nachdenken über Probleme! Tritt ein in die totale Gegenwärtigkeit! Werde zum neutralen Beobachter von dem was sich hier im „Jetzt“ in dir und um dich ereignet und alle Probleme lösen sich auf. Intuitiv wird dir sodann eingegeben, welcher Schritt als nächster von dir zu tun ist.

 

Eckhart Tolle schreibt zu diesem Thema in seinem Buch „Jetzt! die Kraft der Gegenwart“:

„Es ist nicht nötig, die unbewusste Vergangenheit in dir zu untersuchen, außer wenn sie sich in diesem Moment als Gedanke manifestiert, als Gefühl, Wunsch, Reaktion oder als ein äußeres Ereignis, das dir geschieht. Was immer du über die unbewusste Vergangenheit wissen musst, die Herausforderungen der Gegenwart werden es hervorbringen. Wenn du dich in die Vergangenheit vertiefst, tut sich ein bodenloser Abgrund auf: Da wird immer noch mehr sein…“

„Gib der Gegenwart Aufmerksamkeit; gib deinem Verhalten Aufmerksamkeit, deinen Redaktionen, Stimmungen, Gedanken, Gefühlen, Ängsten und Wünschen, so wie sie in der Gegenwart auftauchen…“

„Versuche also nicht, die Vergangenheit zu verstehen, sondern sei so gegenwärtig, wie du nur kannst. Die Vergangenheit kann in deiner Gegenwart nicht überleben…“

 

Mit der Vergangenheit beschäftigt sein – ein Egoproblem

Unser Ego und seine Gedanken verweilen gerne bei dem was war, insbesondere bei „negativen“ Erfahrungen. Das Ego liebt es sich selbst oder andere zu verurteilen, sich zu bedauern und sich als „Opfer“ zu fühlen. Gerne leitet es seine Identität aus vergangenen Verletzungen ab.

Für Heilung und Befreiung ist es erforderlich uns klar zu machen, dass wir selbst für unsere Gedanken und Gefühle und letztlich auch für unser Schicksal verantwortlich sind.

Verletzungen, die wir durch andere Personen erleiden, sind nur der Auslöser dafür, dass in uns latent vorhandene Angst, Traurigkeit, Wut etc. hochkommen.

Wir selbst verursachen mit unserem Bewerten und Verurteilen unsere negativen Gefühle.

Anschauen, annehmen und loslassen

Negative Gefühle lösen sich auf wenn wir sie nur „wahrnehmen“ und dabei möglichst gegenwärtig sind. „Gegenwärtig-Sein“ bedeutet, einfach nur zu beobachten, was jetzt ist, was jetzt in mir vorgeht, ohne damit eine Kette von Gedanken und Erinnerungen zu verbinden.

Tauchen Gedanken an vergangene Ereignisse auf, so sollten wir dieses „Vergangene“ liebevoll anschauen, annehmen und loslassen.

Die Vergangenheit können wir nicht „aufarbeiten“, sondern nur „vergessen“ – das heißt ihr möglichst wenig Aufmerksamkeit schenken.

Das Leben findet nur „Jetzt“ statt! Es gilt daher, so gut es geht, stets im gegenwärtigen Sein, in der „Reinen Wahrnehmung“ zu verweilen! Das heißt:

 

Meine Empfehlung:

 

 

Frage von Karin:

Lieber B.

Was du schreibst mag bei Leuten funktionieren, die keine ernsthaften seelischen Störungen haben. Aber bei Menschen mit massiven Traumata?

Die haben dann vielleicht Angst vor Männern, oder sind ständig traurig, oder rasten ständig aus, und wissen gar nicht warum, und was hilft es ihnen dann, wenn sie zwar beobachten, dass sie jetzt mal wieder auszucken, aber es das nächste Mal dann ja doch wieder tun?

Glaubst du nicht, dass es für bestimmte Fälle sehr wohl die Notwendigkeit von Ursachen-Bearbeitung gibt?

Mein Sohn studiert Psychotherapie. Er meint zu deinen Ausführungen, dass viele problematische Gefühle im Jetzt gar nicht auftauchen, weil sie total verdrängt wurden. Aber unbewusst sind sie dennoch vorhanden und beeinflussen den Menschen negativ. Daraus leitet er ab, dass man daher verdrängte, unbewusste alte Verletzungen und Themen unbedingt aufsuchen und sich mit ihnen auseinandersetzen muss.

Das klingt für mich schon sehr plausibel.

 

Antwort:

Liebe Karin!

Was in der Vergangenheit geschehen ist, ist geschehen! Das „Warum“ hilft dem Betroffenen heute nicht weiter.

Sicher können und sollen wir aus Fehlern, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, lernen. Ein Problem entsteht jedoch, wenn wir dabei uns oder andere verurteilen, uns ärgern, uns bedauern oder nicht verzeihen können …

Ursachenerforschung ohne Ende

Bei der Ursachen-Erforschung und Aufarbeitung kommen die Beteiligten nie zu einem Ende.

Meist ist es ja nicht nur ein besonderes Erlebnis, welches die genannten psychischen Störungen auslöst, sondern die Vergangenheit birgt in sich eine Unzahl an kleineren und größeren Frusterlebnissen. Erlebnisse die sich nach und nach und immer wieder in unserem gesamten vergangenen Leben ereignet haben. All diese können niemals erkundet und aufgelöst werden.

Es fragt sich also: Wo beginnen und wo aufhören?

Bei der Ursachenerforschung landen wir zwangsläufig in einer unendlichen Kausalitätskette, die bis Adam und Eva zurückreicht.

 

Wir landen bei Fragen wie:

„Weshalb haben uns unsere Eltern und Lehrer so erzogen? Weshalb und in welchen Bereichen waren sie gestört?“

„Welche Störungen gehen zurück auf Erbfaktoren?“

„Welche Rolle spielt bei all dem mein Karma?“

„Welche Ursachen reichen in vergangene Leben zurück? Ja, und warum war dies damals so?“

Und so weiter, und so fort…

 

Dauerpatienten beim Psychiater

Ich kenne relativ viele Menschen die ein Leben lang immer wieder zum Psychiater, zur Seelen-Therapie gehen um Ursachen-Forschung zu betreiben, ohne dabei irgendwelche tiefer gehende Fortschritte zu machen.

Sicher tut es gut, wenn wir über unsere Probleme reden dürfen, wenn jemand aufmerksam zuhört und Mitgefühl zeigt. Dies insbesondere wenn wir keine anderen Menschen haben, die fähig sind uns einfühlend zuzuhören.

Dieser Vorgang ist soweit ok.

Auch gibt es sicher – wenn auch selten – Frauen und Männer, die selbst erwacht und daher fähig sind, Menschen zu Selbsterkenntnis und Gegenwärtigkeit anzuleiten.

Doch oft wird bei psychischen Therapien nur das sich bedauernde Ego des Patienten gestreichelt!

Am besten hilfst du dir selbst, indem du lernst deine Ego-Probleme zu durchschauen. Am besten hilfst du dir selbst, wenn du lernst selbst Verständnis, Weisheit und Liebe ausstrahlen.

 

Die wahre Ursache von negativen Gefühlen ist nicht in der Vergangenheit zu finden

Was ist die Ursache von negativen Gefühlen, von Traurigkeit, von „Ausrasten“ und „Auszucken“, wie du es ansprichst?

 

Wut, Zorn, Traurigkeit entstehen durch

 

Du siehst, das sind alles Ego-Probleme. Diese bekommen wir jedoch nicht durch Vergangenheits-Erforschung oder Schuldzuweisung, sondern nur durch Selbst-Erkenntnis und Selbst-Veränderung in den Griff.

 

Angst das Grundproblem

Das Grundproblem aller negativen Gefühle ist Angst. Diese Angst resultiert aus mangelhaftem Selbst-Wert-Gefühl, aus Nichtwissen wer wir sind. Sie stellt sich automatisch ein, wenn wir in unserem Selbstgefühl davon abhängig sind, wie andere über uns denken oder wie sie sich uns gegenüber verhalten. Sie entsteht, wenn wir nicht mit unserem göttlichen Wesenskern verbunden sind, sondern uns mit unserm vergänglichen Körper und unseren Gedanken identifizieren.

Um hier Abhilfe zu schaffen nützt kein „Aufarbeiten“ der Vergangenheit, sondern nur gedankliche Stille und tiefes Eintauchen in unser gegenwärtiges Sein. Es nützt uns nichts zu wissen, wann und weshalb wir uns negative Verhaltensmuster angelernt haben.

Der direkte Weg - Gegenwärtigkeit

Den direkten Weg gehen um sich von Ängsten und negativen Gefühlen zu befreien, bedeutet möglichst anhaltend gegenwärtig zu sein. In der Gegenwärtigkeit – im Nicht-Denken, nicht mit der Vergangenheit oder Zukunft beschäftigt sein, im „Hier und Jetzt“ zu verweilen, begegnest du dir selbst – deinem Bewusst-Sein.

Es gilt zu beobachten, was sich hier und jetzt in unserer Seele ereignet.

Nur wenn wir unsere Gedanken und Gefühle „jetzt“, das heißt schon im Hochkeimen erkennen, können wir „Herr“ über sie werden.

Wenn wir zum „Beobachter“ werden, von dem was wir denken, was wir fühlen, was in uns vorgeht, erheben wir unser Bewusstsein in eine höhere Dimension. Wir identifizieren uns nicht mehr mit unseren Sinneseindrücken, mit unseren Gedanken, mit den „Inhalten“ unseres Bewusstseins, sondern begegnen dem Bewusstsein selbst.

Wir sind nicht mehr gefesselt von der Welt der äußeren Erscheinungen. Wir blicken in das Sein in uns. Wer nähern uns dem, was wir jenseits aller eigebildeten Sorgen und Ängste sind: „Unvergängliches, reines Bewusstsein, befreite Liebe und unbegrenzte Glückseligkeit“.