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Essay-Brief November 2012

WU WEI – Nichts tun und alles erreichen!

© Bernd Helge Fritsch

 

Wie soll denn das gehen? Eine verrückte Idee?

Die „Wu Wei – Philosophie“ geht auf uralte chinesische Weisheit zurück. Die uns bekannten Repräsentanten sind die großen chinesischen Meister „Laotse“ (Lao Tzu = „Alter Meister“; Lebenszeit unbekannt, vermutlich zwischen 6. und 3. Jh. v.Chr.) und „Dschuang Dsi“ (Chuang-tzu =„Meister Zhuang“; um 365 bis 290 v. Chr.). Die Basis dieser Philosophie ist die Überzeugung, dass alles Sein eine Einheit bildet. Diese Einheit, in der altchinesischen Weisheitslehre als „Tao“ bezeichnet, ist von einer unvorstellbaren Intelligenz durchdrungen. In jedem Stein, in jeder Pflanze, in jedem Lebewesen kann jedermann/frau, der/die nicht völlig abgestumpft ist, diese göttliche Schönheit und Weisheit erkennen. Der Mensch in seiner Freiheit (er ist laut Schöpfungsgeschichte zum „Ebenbilde Gottes“ auserkoren) ist allerdings fähig aus dieser weisheitsvollen Einheit auszubrechen und sich und seine Umwelt in Probleme, Chaos, Krisen und Krankheit zu stürzen. Missversteht er seine Berufung, so verwandelt sich seine Freiheit in Unfreiheit.

Wer ist „schuld“ daran? Wie geht das vor sich? Willst du den Dieb deiner Freiheit, den Dieb deiner Harmonie mit dem Sein, den Dieb deiner Lebensfreude, den Verursacher deiner Probleme, deiner Sorgen und Nöte einfangen und zähmen, so musst du in dich gehen und dein Denken beobachten. Dieses Denken (in seiner üblichen Erscheinungsform) lässt nicht zu, dass wir die Menschen, die Ereignisse, die Welt so sehen wie sie wirklich sind. Bevor noch unsere Wahrnehmungen bis zu unserem Herzen gelangen, werden sie von uns automatisch, blitzschnell und unbemerkt analysiert, beurteilt und etikettiert. Wir begegnen tagein, tagaus nicht dem realen Sein, sondern unseren darüber gestülpten angeborenen und anerzogenen Denkmustern. Deshalb befindet sich fast jeder Mensch, leider ohne es zu bemerken, gefangen in seiner selbst gebastelten Welt. Unser Denken, unser Analysieren, Be- und Verurteilen, unser Verlangen und Ablehnen, unser Grübeln und unser darauf aufgebautes Handeln erschaffen die Probleme „dieser“ Welt. Unser gewohntes Denken bildet eine fast undurchdringliche Trennwand zwischen uns und dem Leben.

„Beim Streben nach Wissen wird täglich etwas hinzugefügt. Beim Üben des Tao wird täglich etwas fallen gelassen. Immer weniger musst du die Dinge erzwingen, bis du schließlich beim Nicht-Handeln anlangst.“

Laotse

 

Wu Wei bedeutet "Nicht-Handeln" oder "Handeln durch Nicht-Handeln". Das bedeutet nicht „sich gehen lassen“, „faul herumhängen“ oder „nix tun“. Es bedeutet im Einklang mit der eigenen Natur und in Harmonie mit dem gesamten Sein handeln.  Oder noch besser gesagt, wer im Tao ruht, lässt „ES“ handeln. Er überlässt das, was zu tun ist, seiner Intuition, seinen Talenten, seinen Gefühlen und seinem Körper. Er kämpft nicht, er plagt sich nicht, er versucht nicht seinen Willen durch zu setzen. Er fühlt spontan was zu tun ist.

Äußerlich gesehen handelt der mit dem Tao verbundene Mensch. Bei Bedarf strengt er sich auch körperlich an. Doch innerlich bleibt er dabei der gelassene Beobachter. Er ist hellwach und achtsam und zugleich lässt er entspannt und ruhig geschehen, was zu geschehen hat. Er wirkt ohne Erfolgszwang, ohne falschen Ehrgeiz, freudig hingegeben an den Augenblick. Sein Tun empfindet er nicht als mühevolle Arbeit oder Belastung.

Wie ein Kind, das mit Hingabe seine Sandburg baut, so können auch wir ohne inneren Druck, ohne Ängste und Sorgen das erledigen, wozu uns unsere Eingebung aufruft. Und dabei sollte uns stets bewusst sein, dass unsere „Sandburgen“ vergänglich und weit weniger wichtig sind, als wir üblicherweise annehmen.

 

Im Wu Wei halten wir Abstand von unnötiger Betriebsamkeit. Wir müssen nicht ständig etwas unternehmen, wir benötigen nicht Aktion, Lärm, Musik, Filme, Spiele um den rastlosen Geist zu betäuben.

Wer seine Augen sehen und seine Ohren hören lässt, was immer sie wollen, wird seinen Geist ermüden und seine Klarheit einbüßen. Wer seinen Verstand zum Grübeln benutzt, um Kontrolle zu erlangen, fügt dem Geist Schmerzen zu und vollbringt gar nichts. Laotse

Unser Denken an und für sich ist nicht das Problem. Der Verstand ist ein gutes Werkzeug um unsere alltäglichen Routine-Aufgaben zu erfüllen. Doch um Menschen und Situationen zu beurteilen und kluge Entscheidungen zu treffen, ist er vorwiegend hinderlich und wenig nützlich. Warum? Weil sich der Verstand nur auf Wissen und Erfahrungen aus der Vergangenheit stützen kann. Seine Arbeitsweise besteht im Vergleichen mit der Vergangenheit. Er kann nicht umfassend erkennen was „jetzt“ ist. Er überblickt bei der Analyse einer Situation nur eine bescheidene Anzahl von Zusammenhängen. Er sieht nicht alle Auswirkungen seiner Entscheidungen, er sieht nicht was kommen wird. Er erkennt bestenfalls nur Bruchstücke der Wahrheit.

Was jetzt ist, ist immer neu. Alles Leben ist im Fluss, in Bewegung. Weil der Verstand nicht „neu“ denken kann, kann er keine kreativen, der neuen Situation angepassten Entscheidungen treffen. Er begreift nicht, was sich außerhalb seines beschränkten Horizonts bewegt. Das spürt der Mensch und daraus resultieren seine Zweifel, seine Unsicherheit, seine Sorgen und Ängste. Nur wenn das Denken schweigt, in der reinen Wahrnehmung, können wir uns mit der allumfassenden Weisheit, die stets auch in uns wirkt,  verbinden. Dann kommen spontan die richtigen Erkenntnisse und Ideen – sprich, gute Intuitionen. Das Denken ist danach wieder nützlich und notwendig um Eingebungen aus der Dimension jenseits des dualen Denkens in praktikable Gedanken und Worte zu übersetzen.

„Das äußere Hören darf nicht weiter eindringen als bis zum Ohr; der Verstand darf kein Sonderdasein führen wollen, so wird die Seele leer und vermag die Welt in sich aufzunehmen.“   Dschuang-Dsi

 

Unser auf Probleme programmiertes Denken (das Ego ist sogar süchtig nach Problemen), ist rastlos damit beschäftigt an der Behebung der selbst produzierten Probleme zu arbeiten. Unser „Problem-Denken“ beruht auf einer Fehlinterpretation des Seins. Es gründet sich auf unserer Einbildung, die Welt und damit auch unser Leben sei unvollkommen und schwierig. Daher, folgert der Verstand, müssen wir kämpfen und uns sehr, sehr anstrengen um halbwegs durch zu kommen und natürlich müssen wir uns noch mehr anstrengen um vielleicht sogar das wahre Glücklich-Sein zu erfahren. So entsteht unser Bemühen immer erfolgreicher, besser oder gar heiliger zu werden. Die ganze wahnsinnige weltweite Wirtschafts- und Konsum-Hektik mit ihren unseligen Folgen für die Gesundheit und das Wohlergehen des Einzelnen beruht auf diesem „Tun-Müssen-Prinzip“.

Wem es gelingt in das Wesen des Seins, in das „Tao“ einzudringen, erkennt die Sinnlosigkeit des Bemühens die Welt zu verändern, etwas zu erlangen oder selbst besser zu werden. Um Wu Wei zu praktizieren ist die Erkenntnis notwendig,  dass die Welt vollkommen ist, so wie sie ist und dass auch jeder einzelne Mensch in seinem Wesensgrund ein einmaliges, aus unvorstellbarer Weisheit geschaffenes Wunder ist. Wir sind bereits viel mehr als wir uns je erdenken können, nur fehlt uns dazu das entsprechende Bewusstsein. Öffnen wir uns für dieses Bewusstsein, so fallen alle eitlen Bemühungen des „Ichs“, wie zum Beispiel „besser zu werden“, „Erfolg zu haben“, „anerkannt und geliebt zu werden“, „Recht zu haben“, „unsere Mitmenschen mit Kritik zu verändern“ und „dies und jenes für sein Glück zu brauchen“ automatisch weg.

„Wer nicht handelt, dem steht die Welt zur Verfügung und er hat Überfluss. Wer handelt, der steht der Welt zur Verfügung und er hat Mangel.“     Dschuang-Dsi

 

Alles was wir zu tun haben, besteht darin, uns vertrauensvoll dem Fluss des Geschehens, dem Augenblick, dem Tao zu übergeben. Im Tao verzichten wir auf Gedanken und Sorgen über Gestern und Morgen. Wir verzichten darauf uns in den weisheitsvollen Fluss des Seins einzumischen. Denn dadurch produzieren wir nur Unruhe und negative Folgen. Innerlich stille werden, achtsam und liebevoll zu schauen, was um mich und vor allem was in mir geschieht, mehr ist nicht erforderlich. Die notwendigen Entscheidungen und Handlungen ergeben sich sodann zum richtigen Zeitpunkt wie von selbst - spontan, harmonisch und mühelos. Mit dieser Einstellung, mit diesem Vertrauen in das Sein wird uns alles geschenkt, was wir für unser Glück benötigen. Die wahre innere Stille ist nicht tot. Sie ist ident mit der kreativen Kraft aus der sich ständig alles Leben entfaltet. Sie ist ident mit der Essenz des Seins, mit Weisheit, Freiheit, Liebe und Glückseligkeit.

 

Mit herzlichen Grüßen  

Euer Bernd

 

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